Betrifft die Corona-Krise auch Kinder mit LRS?

Seit einiger Zeit wird in Fachkreisen darüber diskutiert, inwiefern Kinder in den Jahren der COVID19-Pandemie psychische Krisen erlebt haben. Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. Für uns stellt sich insbesondere die Frage, ob auch Kinder mit LRS oder Legasthenie davon betroffen sind. Allgemein haben sich die seelischen Probleme von Kindern in den letzten Jahren verstärkt. Laut der COPSY-Studie der Gesundheitsforscherin Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer (Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf) ist der Anteil der psychisch auffälligen Kinder und Jugendlichen von 18 auf 31 Prozent angestiegen.

Bei allem Verständnis für die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID19-Pandemie muss hier von einer multikomplexen Situation der Entwicklung von psychischen Problemen bei Kindern ausgegangen werden. Kinder wachsen in unterschiedlichen sozial-familiären Verhältnissen auf, manche erleben stabile, manche weniger stabile oder gar instabile Verhältnisse. Geht man allgemein davon aus, dass durch die Corona-Maßnahmen deutlich mehr Kinder psychische Probleme entwickelt haben, liegt der Schluss nahe, dass Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten aufgrund ihrer Neigung zur Entwicklung psychischer Probleme deutlich stärker gefährdet sind. LRS kann auch ein soziales Problem darstellen. Wir gehen daher davon aus, dass die betroffenen Kinder zu den am meisten benachteiligten Gruppen in dieser Krise gehören. Welche Erklärungen gibt es dafür? Der Wechselunterricht wirkte sich besonders verheerend auf lernschwache Kinder und Jugendliche aus, da gerade sie eine klare Struktur im schulischen Alltag benötigen. Auch die lange Isolation von Gleichaltrigen war ungünstig für Kinder, die oft auch mit Versagensängsten und Selbstwert-Problemen zu kämpfen haben.

Sicherlich gibt es Kinder, die vom Homeschooling profitiert haben. Dies ist eher bei Schülern der weiterführenden Schulen der Fall, die bereits in der Lage sind, selbständiger zu lernen. Dagegen war die Situation des Wechselunterrichts für die Grundschüler nicht so gut. Deshalb entwickelten sie häufiger Probleme mit Ängsten, geringem Selbstwertgefühl und fehlender Motivation, woraus auch Depressionen und Anpassungsstörungen entstehen können. Langfristig ist davon auszugehen, dass Kinder mit LRS als Folge dieser Krise psychische Probleme entwickeln. Dabei ist zu beachten, dass Kinder mit einem stabilen familiären Umfeld diese Probleme besser kompensieren können als andere. Etwa 25 Prozent der Kinder wachsen in schwierigen Familienverhältnissen auf. Hier können sich die Probleme der vergangenen Jahre zu andauernden psychischen Schwierigkeiten entwickeln, wenn sie keine angemessene Hilfe erhalten. Leider ist die soziale Dimension der LRS in der Forschung bisher nur wenig berücksichtigt worden. Hier sollten die Lernschwierigkeiten mehr in LRS (erworben) und Legasthenie (vererbt) differenziert werden.

Es gibt Lese-Rechtschreib-Schwächen, die aufgrund ungünstiger Umweltfaktoren erworben wurden. Die Krise der letzten Jahre verdeutlicht die notwendige Differenzierung dieser Schwächen. Wir werden deutlich mehr Kinder und Jugendliche mit großen Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb haben, in deren Familien diese Probleme vorher nicht auftraten. In den kommenden Jahren werden wir sehen, wie stark sich die Krise der Kinderseelen auf unser Arbeitsfeld auswirken wird. Derzeit sehen wir bei den betroffenen Kindern deutlichere Defizite als vor der Krise. Diese Kinder schneiden beim Lesen und Schreiben schwächer ab, sie haben häufiger Konzentrationsprobleme ähnlich wie bei ADS und ADHS, sie sind ängstlicher und haben deutliche . Hier sehen wir eine starke Tendenz zum Schlechteren. Unsere Einschätzungen können wir noch nicht verallgemeinern. Weitere Aussagen muss die Forschung der kommenden Jahre liefern.

Wie kann ein Legastheniker die Wunden seiner Kindheit aufarbeiten?

Erfahrungsbericht von Lars Michael Lehmann, Legasthenie-Experte und Fachjournalist

Durch meine eigene Legasthenie und die langjährige Arbeit mit betroffenen Erwachsenen sammelte ich viele Erfahrungen. Meine Erkenntnis ist, dass sich viele seelische Probleme aus einer belasteten Kindheit als „Wunden“ in unsere Seelen graben können. Das kann an einer problembelasteten Familienkonstellation liegen oder aber an einem ungünstigen schulischen Lernumfeld. Wenn ich es heute richtig verstehe, muss eine Legasthenie nicht automatisch zum seelischen Problem werden, aber die soziale Umwelt kann das begünstigen. Deshalb bedeutet die WHO-Definition der Legasthenie als ein psychisches Störbild nur ein sehr enges Krankheitsbild, welches aber nicht auf die Mehrheit der Legastheniker übertragbar ist. Einerseits wachsen nicht alle Betroffenen in einer belasteten sozialen Umwelt auf. Andererseits treten nicht alle Lernprobleme häufiger in den Familien auf, was aber bei der Legasthenie der Regelfall ist. Sondern es gibt unterschiedliche Lese-Rechtschreib-Probleme, die man als LRS (erworben) und Legasthenie (familiäre Häufung) unterscheiden sollte. Diese sinnvollere Differenzierung wird in der Fachwelt schon seit Beginn der Legasthenieforschung diskutiert.

Während meiner beruflichen Praxis habe ich sehr unterschiedliche Biografien von Legasthenikern und Legasthenikerinnen gesehen.

Abwertung im familiären Umfeld

Ich möchte etwas aus meiner Biografie berichten. In meiner Familie kommt die Legasthenie gehäufter vor. Auch mein Vater ist von einer schweren Legasthenie betroffen. In seiner Kindheit hat sich niemand darum gekümmert, denn er war ein Nachkriegskind und die Familie musste erstmal überleben. Er hatte immer sehr große Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, die bis heute anhalten. In der Abendschule konnte er den 10.-Klasse-Abschluss erlangen. Er ist wissbegierig und sehr kreativ. Aber in meiner Kindheit konnte er mir aufgrund seiner Probleme keine wirkliche Stütze sein. In schulischen Dingen konnte er mir nicht helfen. Meine Mutter war dagegen im Fach Deutsch und in den Fremdsprachen ein Ass. Sie gab sich große Mühe mich in der Schule zu unterstützen. Aber sie konnte meine Probleme nicht nachvollziehen und wertete mich als Person ab, ohne das zu beabsichtigen. Meine Mutter schämte sich für mich, weil ich zu DDR-Zeiten auf eine Sonderschule für Lernbehinderte gehen musste. Immer wieder wurde mir sehr deutlich gezeigt, dass ich es in meinem Leben zu nichts bringen würde.

Abwertung im schulischen Umfeld

In der Schule war es nicht besser. Erschwerend kam hinzu, dass ich in einem katholischen Elternhaus aufwuchs. Zu DDR-Zeiten war das in meiner Heimat, der ländlichen Oberlausitz, nicht gern gesehen. Unsere Hilfsschule war recht regimetreu. Dort erfuhr ich keine wirkliche Hilfe und Unterstützung. Schon in den ersten Klassen wurde deutlich, dass ich große Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben hatte. Man argumentierte immer, dass das halt eine Lernbehinderung sei. In meinem privaten Umfeld fiel es Bekannten und Freunden von Eltern immer wieder auf, dass ich nicht auf diese Schule gehörte. Doch meine Eltern konnten das nicht ändern und sie mussten sich fügen. Auch in der Schule erlebte ich eine Abwertung. Uns wurde signalisiert, dass wir nach der 8. Klasse keine beruflichen Entwicklungschancen haben würden. Wir müssten uns damit abfinden Hilfsarbeiter zu werden.

Das sind nur kurze Auszüge aus meiner Biografie. Sie machen deutlich, dass ich in meinem Leben allerhand Abwertung erlebte. Sicherlich hatten nicht alle Legastheniker eine solche Biografie. Aber viele von ihnen werden sich hier wiederfinden. Allerdings sehe ich Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern. Für mich ist wichtig, dass ich zu DDR-Zeiten in einem Regime aufwuchs. Das erlebten viele meiner Altersgenossen der DDR-Wendegeneration ähnlich. Auch in den alten Bundesländern gibt es meines Wissens nach Legastheniker mit seelischen Wunden aus ihrer Kindheit. Diese können sehr unterschiedlicher Natur sein. Die Betroffenen der alten Bundesländer lebten in einer freieren und selbstbestimmteren Welt (besonders seit den 68er-Jahren), darum spielte das politisch-gesellschaftliche Leben in ihrer Biografie eine geringere Rolle als bei den in der DDR aufgewachsenen Menschen.

Wie kann ein Betroffener seine seelischen Wunden bewältigen?

Hierfür gibt es keine Patentlösung. Aus meinem eigenen Erleben heraus kann ich sagen, was mir geholfen hat. Entscheidend war für mich diese Brüche in meiner Biografie anzuerkennen. Das war nicht einfach für mich, denn ich musste die Wunden der Vergangenheit mit professioneller Hilfe durch Psychologen und Seelsorger aufarbeiten. Außerdem gelang es mir, aus dem eigenen Betroffensein heraus mich fachlich zu qualifizieren, um jetzt anderen Betroffenen professionell helfen zu können. Als praktizierender Christ durfte ich lernen, wie man seinen Eltern die von ihnen verursachten Wunden vergibt. Ich konnte diese Wunden bei Jesus Christus abgeben, darüber mit meinen Eltern sprechen und ihnen Vergebung zusprechen. Mit meinen schulischen Erfahrungen erlebte ich das ähnlich. Ich habe viel mit vertrauten Menschen geredet, um diese Wunden zu verarbeiten. Dagegen brauchte ich einige Jahre, um die traumatischen Erfahrungen des DDR-Systems zu verarbeiten, in dem ich aus politischen Gründen zwei Jahre als „Behinderter“ in einer Behindertenwerkstatt arbeiten musste. Diese seelisch sehr belastenden Erlebnisse konnte ich bis heute gut verarbeiten. Eine wichtige Stütze dabei waren Freunde und andere vertraute Menschen, mit denen ich gut über alles reden konnte. Diese Gespräche (+ schriftliche Entäußerungen) lösten einen sehr heilsamen Prozess in mir aus. Für meine berufliche Tätigkeit war das eine sehr wichtige Erfahrung. Ich kann heute sehr gut nachvollziehen, wie sich diese seelischen Wunden anfühlen und wie man sie schrittweise bewältigen kann.

Ich würde mir wünschen, dass wir Legastheniker mehr über unsere Biografien in der Öffentlichkeit sprechen. Das hilft bewältigen! Die Verwundungen unserer Kinderseelen wirken bis ins Erwachsenenleben weiter, da gibt es keinen Schlussstrich. Deswegen ist es so wichtig, dass Kinder mit einer Legasthenie in ihrer Schulzeit psychisch stabil bleiben. Das ist ein wichtiger Grund, weshalb ich die LRS-Klassen in Sachsen kritisiere. Denn diese Sonderschulerfahrung in Form einer LRS-Klasse kann sich als Diskriminierungserfahrung und seelische Wunde bei den Betroffenen auswirken. Ich habe schon einige Erwachsene mit Tränen in den Augen erlebt, die diese Wunde der Ausgrenzung erfahren haben. Auch diese Wunden benötigen Verarbeitung und Heilung.

Diese Schritte sind für manche Legastheniker wichtig, um ihre Schwäche auch im Erwachsenenalter noch zu bewältigen. Leider hat sich die Fachwelt bisher nur wenig mit diesem Bereich beschäftigt. Bei Ängsten und Depressionen ist es sinnvoll psychologische Hilfe zu suchen. Damit habe ich gute Erfahrungen gesammelt. Leider kennen sich nur wenige Psychologen und Therapeuten mit dem Thema Legasthenie aus. Bei den meisten Fachleuten ist heute die Erkenntnis unumstritten, dass Betroffene aufgrund einer nichterkannten Legasthenie seelische Probleme entwickelt haben. Aber die Definition der Legasthenie als psychisches Störbild bzw. Krankheitsbild seitens der WHO ist äußerst strittig. Sicherlich können legasthene Menschen aufgrund der seelischen Verwundungen in der Kindheit (durch Familie und Schule) seelische Belastungen erfahren, die sich dann als Versagensängste, Minderwertigkeitskomplexe oder Verhaltensprobleme äußern. Aus meiner Sicht ist das häufig eine Reaktion auf seelische Wunden und nur in seltenen Fällen entwickeln sich daraus schwere seelische Krankheiten. Meine Schlussfolgerung ist: Es könnten viel mehr Erwachsene ihre Legasthenie bewältigen, wenn sie bereit sind, ihre seelischen Wunden aufzuarbeiten.

Weiterführende Fachaufsätze: 

 

Warum haben erwachsene Legastheniker häufig Probleme mit dem Selbstwertgefühl?

Es ist davon auszugehen, dass nicht wenige erwachsene Legastheniker Schwierigkeiten mit dem Selbstwertgefühl haben. In der Praxis sind uns bis heute nur wenige Betroffene begegnet, die damit keine Schwierigkeiten haben.

Entwicklungspsychologisch gesehen entwickelt sich das Selbstbewusstsein in der frühen Kindheit und es kann dabei vom sozialen Umfeld der Familie (Schule, Freunde, Hobbys usw.) gefördert werden. Genau wie sich das Selbstbewusstsein positiv entwickeln kann, besteht auch die Gefahr, dass diese wichtige Grundlage für eine psychische Widerstandsfähigkeit bei den Betroffenen schwächer ausgebildet bzw. gefördert wurde.

Wichtig für das Selbstbewusstsein sind die Erfahrungen in der Schulzeit. Welche schulischen Erfolge gab es, wie wurde das von den Eltern wertgeschätzt? Gab es verständnisvolle Lehrer und Freunde? Diese Erfahrungen sind bei den Betroffenen unterschiedlich. Erlebte Niederlagen, die am Selbstbewusstsein nagen können, werden unterschiedlich verarbeitet und durchlebt. Dabei spielt die Institution Familie als sicherer Zufluchtsort, der den Betroffenen Verständnis und Geborgenheit bietet, eine wichtige Rolle für ihre Stabilität. Wurden die schulischen Probleme in der Schule nicht richtig erkannt? Hatten die Eltern wenig Verständnis für die Probleme der Kinder und konnten sich nicht in ihre Lage hineinversetzen? Dann besteht die Gefahr, dass die Betroffenen sich einbilden, dass etwas mit ihnen nicht stimmen mag. Darum besteht bei der medizinischen Diagnose „Lese-Rechtschreib-Störung“ die Gefahr, dass sich dieses Störbild nicht gut auf das Selbstbewusstsein des Betroffenen auswirkt. Welcher Legastheniker wird denn schon ganz selbstbewusst zu seiner „Störung“ stehen?

Die medizinische Diagnostik nach der ICD-10 sollte schon wegen der psychischen Folgen und des Nutzens für die Betroffenen hinterfragt werden. Signalisieren Eltern den Kindern schon früh in der Kindheit, dass sie wahrnehmungsgestört sind oder eine Lese-Rechtschreib-Störung haben, wird sich das unweigerlich auf die seelische Entwicklung der Betroffenen auswirken. Genauso kann sich eine Separation in eine LRS-Klasse bis in das Erwachsenenalter negativ auswirken.

Die wichtigen Vorerfahrungen prägen die Betroffenen, wie sie sich in ihrem Selbstbewusstsein entwickeln. Da wir bis heute in einer Gesellschaft leben, in der eine Legasthenie ein unausgesprochenes Stigma bedeutet, hat auch ein großer Teil der Betroffenen Schwierigkeiten mit dem Selbstbewusstsein. Dies beobachten wir bei nicht wenigen Erwachsenen.

Bewältigen Erwachsene ihre Schwierigkeiten, besteht die Chance ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln. Das ist meistens harte Arbeit. Denn eine Legasthenie geht nicht selten mit Versagensängsten und Problemen mit dem Selbstwertgefühl einher, die mit dem schulischen Versagen der Schulzeit zusammenhängen.  Die biografische Entwicklung der Betroffenen ist unterschiedlich.

Wie gut sich das Selbstbewusstsein der erwachsenen Legastheniker entwickeln wird, hängt von vielen Faktoren und Umweltbedingungen hab. Dabei spielt die Familie als Institution eine wichtige Rolle. Erfahren die Betroffenen trotz ihrer Schwäche Liebe und Wertschätzung und leben sie in stabilen familiären Verhältnissen, besteht die Chance, sich trotz der schulischen Schwierigkeiten seelisch stabil zu entwickeln, was man heute Resilienz nennt. Haben Betroffene ungünstige Voraussetzungen, kann dies psychosoziale Probleme begünstigen, die sich im Erwachsenenalter zu seelischen Erkrankungen entwickeln können. Wir nehmen nicht an, dass die Legasthenie automatisch eine seelische Behinderung ist, sondern sie kann durch ungünstige Bedingungen zu einem solchen Problem werden.

Was könnten die sozialen Ursachen für Lese-Rechtschreib-Schwächen sein?

Soziale Ursachen bei Lese-Rechtschreibschwächen

Die Ursachen für Probleme mit dem Schriftspracherwerb bei Kindern sind vielfältiger Natur. In diesem Aufsatz geht es um unsere Erfahrungen mit den sozialen Ursachen. Hier machen wir uns um die frühen Indikatoren sozial-familiärer Ursachen Gedanken, die beim Erwerb von LRS in der Kindheit bei Betroffenen eine Rolle spielen können.

Nicht wenige Fachleute vermuten soziale Ursachen bei LRS

Bis heute gibt es in der Fachwelt keine einheitliche Meinung über die Ursachen für Lese-Rechtschreib-Schwächen. Mögliche Ursachen können in der Genetik, der frühkindlichen Entwicklung und neuronalen Besonderheiten der Betroffenen liegen. Viele Fachleute vermuten aber auch soziale Ursachen (Umweltindikatoren), die bei einer LRS eine Rolle spielen können.

Familie als wichtige prägende Institution für die Grundlagen der Schriftsprache

Die Schwierigkeiten sind dabei nicht direkt beim Betroffenen zu suchen, sondern in der sozialen Umwelt der Betroffenen. Eine wichtige prägende Institution ist die Familie, in der man die Grundlagen der Sprache und Schriftsprache legt und die vorschulische Entwicklung fördert. Sprechen Eltern wenig mit ihren Kindern, kann sich dies langfristig negativ auf die schriftsprachliche Entwicklung auswirken. Häufig werden diese Kinder dann ein Fall für Logopäden oder Ergotherapeuten. Gute Aussprache und intensive Kommunikation ist für die schriftsprachliche Entwicklung der Kinder wichtig. Dazu gehört eine vielseitige sprachliche, musische und kulturelle Bildung der Kinder. Sie kann einer LRS vorbeugen bzw. sie abmildern.

Nicht wenige Kinder können schon mit 4 Jahren ihren Namen schreiben. Ob das gelingt, hängt maßgeblich von der familiären Förderung ab. Die Eltern haben an dieser Stelle einen entscheidenden Part, indem sie ihren Kindern frühe Anreize dafür geben. Dazu kommt die vorschulische Förderung im Kindergarten, wo die Kinder erste wichtige Lernerfahrungen sammeln. Da die Qualität der Frühförderung nicht einheitlich ist, werden die Kinder in unterschiedlicher Art gefördert.

Fein- und Grobmotorik ist wichtig für den späteren Schriftspracherwerb

Für die schriftsprachliche Entwicklung ist eine gut ausgebildete Fein- und Grobmotorik wichtig, um in der Schulzeit eine flüssige Handschrift zu erlernen. Haben Kinder damit Schwierigkeiten, werden sie sich mit dem Schreibenlernen schwerer tun. Heutzutage hat man den Eindruck, dass diese Fertigkeiten zunehmend vernachlässigt werden. Dabei spielt die Mediennutzung (Handys, Tablets) eine entscheidende Rolle. Dies hat maßgebliche Auswirkungen auf den allgemeinen Schriftspracherwerb in der späteren Schulzeit.

Vorbildliche Mediennutzung der Eltern fördert die Konzentrationsfähigkeit

Eine gute Konzentrationsfähigkeit ist für den Schriftspracherwerb der Kinder wichtig, diese sollte schon im Kindergartenalter durch freies Spielen in der Natur und Rollenspiele mit Freunden sowie sportliche Aktivitäten gefördert werden. Eine frühe übermäßige Mediennutzung sollte bei kleinen Kindern vor dem Kindergartenalter vermieden werden. Denn die Kinder haben Schwierigkeiten, diese vielen Reize zu verarbeiten. Darum ist nur eine kurze und wohldosierte Nutzung ratsam. Wichtig ist hierbei, wie die Eltern die Nutzung der Medien vorleben. Vermutlich gibt es einen Zusammenhang, dass Kinder sich heutzutage nicht gut konzentrieren können, wenn die Eltern ihren eigenen Medienkonsum nicht im Griff haben. Aus der Praxis wissen wir, dass bei diesen Kindern recht häufig das gesamte soziale Umfeld der Familie belastet ist.

Psychische Belastungen der Eltern können Kinder zusätzlich beeinträchtigen

Familiäre Belastungen und die soziale Herkunft wirken sich auch auf die schulische Entwicklung aus. Kinder von seelisch erkrankten Eltern haben ein erhöhtes Risiko von 70 Prozent, dass sie ebenfalls psychische Probleme entwickeln werden. Das ist ein zusätzlicher Faktor, aus dem Probleme beim Schriftspracherwerb entstehen können. Sie haben ein wesentlich erhöhtes Risiko einer möglichen seelischen Behinderung, weil einzelne Elternteile mit der Erziehung und der finanziellen Lage überfordert sein können.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Auch wenn sich die Fachwelt über die möglichen Ursachen der LRS nicht einig ist, meinen viele Fachleute, dass soziale Umfeldindikatoren eine LRS begünstigen können. Speziell ein ungünstiges familiäres Umfeld und der soziale Status spielen bei der sprachlichen und schriftsprachlichen Entwicklung eine maßgebliche Rolle. Es ist nicht zu vernachlässigen, dass Kinder aus bildungsfernen Familien ein erhöhtes Risiko aufweisen können, Probleme beim Schriftspracherwerb zu bekommen. Die Förderung einer guten verständlichen Aussprache, der Zugang zu musischen und kulturellen Angeboten, die Ausbildung der Fein- und Grobmotorik sowie ein maßvoller Medienkonsum sind gute präventive Maßnahmen, um dem vorzubeugen.

Uns sind einige Fälle bekannt, in denen das soziale Milieu und der Erwerb der LRS in einem engen Zusammenhang stehen. Die soziale Herkunft der Betroffenen spielt bei der Bewältigung der Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten eine wichtige Rolle. Eltern, die in die Förderung der Kinder investieren können, haben bessere Chancen auf schulischen Erfolg als die, die sich keine private Förderung leisten können und der sozial schwächeren Schicht angehören.

Diese wichtigen Einflüsse können Indikatoren bei der Entwicklung der LRS sein. Wenig davon ist bisher erforscht. Beobachtungen aus der Praxis geben aber Hinweise darauf, dass diese Faktoren eine Rolle spielen müssen. Deshalb sollten diese in der Forschung mehr berücksichtigt werden.