Rezension: Ratgeber Rechtschreibprobleme (LRS/Legasthenie)

Rezension: Ratgeber Rechtschreibprobleme (LRS/Legasthenie)

Heute wollen wir das Buch „Ratgeber Rechtschreibprobleme (LRS/Legasthenie)“ von Dorothea und Günther Thomè besprechen. Dieser Ratgeber erschien im Verlag des isb – Institut für sprachliche Bildung Oldenburg als 2., verbesserte Auflage von 2021.

Dieser Ratgeber legt seinen Fokus auf Erfahrungsberichte von Betroffenen. Er zeigt auf, wie sie und ihre Familien die Rechtschreibprobleme erleben. Außerdem werden Auswege zur Bewältigung der Probleme in der Orthografie praxisnah erklärt.

Es ist ein sehr gelungener Ratgeber, der die Rechtschreibprobleme vielschichtig und für den Laien gut verständlich erklärt.

Im ersten Kapitel gibt es eine kurze und verständliche Einführung in das Thema. Dann geht man auf die Ursachen und die Dimensionen der Lese-Rechtschreib-Probleme ein. Die Darstellung entspricht dabei dem heutigen Stand der pädagogischen und sprachwissenschaftlichen Forschung. Diese Erklärung reicht für den Laien aus, um sich mögliche Ursachen und Zusammenhänge von LRS und Legasthenie vorstellen zu können.

Ein weiteres sehr ansprechendes Kapitel „Von Pontius zu Pilatus“ beinhaltet Berichte von betroffenen Familien, denen verschiedene Therapien wenig gebracht haben. Dabei wird auch auf absurde, unnütze und wirkungslose Therapien eingegangen. Diese sehr authentischen Berichte verdeutlichen, auf welche Probleme Eltern und ihre Kinder mit LRS bzw. Legasthenie stoßen können. Diese Erfahrungsberichte spiegeln unseren Praxisalltag gut wider, denn wir kennen viele ähnliche Berichte.

Im nächsten Kapitel „Harte und schöne Texte“ werden Texte von Betroffenen zitiert. Einige davon klingen ziemlich hart, sind aber sehr authentisch. Sie offenbaren in sehr berührender Weise das Gefühlsleben der Betroffenen. Die schönen Texte hinterlassen ein Schmunzeln, die Anekdoten erinnern uns an unsere Arbeit.

Im Kapitel „Rat und Tat“ geben die Autoren einige wertvolle Ratschläge, wie Eltern ihre betroffenen Kinder unterstützen können. Sie beschreiben ungünstige Einflüsse auf das Lernen, die man als schädliche Umweltfaktoren (falscher Lernstoff, Ähnlichkeitshemmung, Druck und Stress etc.) umschreiben kann. Dann wird ein besserer Umgang mit dem Geschriebenen im häuslichen Umfeld angesprochen und gezeigt, wie Eltern auf die Lernschwierigkeiten ihrer Kinder eingehen können.

Im Anhang finden sich einige Kopiervorlagen zu Übungswörtern, ein Literaturverzeichnis und ein Register.

Fazit:

Der „Ratgeber Rechtschreibprobleme (LRS/Legasthenie)“ von Dorothea und Günther Thomè ist unserer Einschätzung nach der bisher gelungenste Ratgeber im deutschsprachigen Raum. Er zeigt die Probleme und Herausforderungen auf, vor denen die betroffenen Familien stehen. Die Kritik an der Lehrerausbildung ist völlig berechtigt. Auch erfahrene Fachleute wie Lehrer und Therapeuten werden in diesem Ratgeber fündig. Leider fehlt uns ein Hinweis auf den Deutschen Dachverband Legasthenie e. V. als Vertretung der Interessen für Familien und Betroffene, denn nicht nur der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e. V. ist für die Betroffenen da. Kurz und knapp gesagt: Man findet in diesem Ratgeber alles, was Rat und Hilfe bieten kann.

Infos zum Buch:

Dorothea Thomé; Günther Thomé

Ratgeber Rechtschreibprobleme (LRS/Legasthenie)

Erfahrungsberichte — Perspektiven — Auswege.
132 S., DIN A5, ab 17. Juli 2021, komplette Ökoproduktion, 2., verbesserte Auflage 2021, jedem Buch liegt nun eine Empfehlungsliste über gute Fördereinrichtungen, die z. T. nach unserem Basiskonzept und/oder mit OLFA arbeiten, bei.

14,80 €, ISBN 978-3-94212201-6

Das Buch kann hier bestellt werden: https://www.isb-oldenburg.de/

 

 

 

Lesesozialisierung bei leseschwachen Kindern

 

Für Kinder mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) spielt die Lesesozialisierung in ihren Familien eine wichtige Rolle. Diese Tatsache ist in der Leseforschung schon seit Jahrzehnten bekannt. Welche Erfahrungen haben wir in unserer praktischen Arbeit mit den Betroffenen gesammelt? Spielt bei allen Leseschwierigkeiten der Kinder der familiäre Hintergrund eine Rolle? Hierzu gibt es keine einfache Antwort. Doch wir können Hinweise darauf entdecken, welche Ursachen es für die Leseprobleme geben kann.

In der Fachwelt wird diskutiert, ob es bei Kindern mit LRS soziale Ursachen im familiären Umfeld gibt, die diese Leseschwierigkeiten begünstigen, obwohl diese Kinder keine Probleme haben müssten. Ein wichtiger Punkt ist dabei der übermäßige Medienkonsum (Handy, TV, Internet, Spielekonsolen). Zusätzlich spielt der soziale Hintergrund der Familien eine große Rolle. Wichtig ist dabei, welche Vorbilder die Kinder in ihren Familien erleben. Wird in der Familie allgemein wenig gelesen, dann lesen die Kinder meistens auch weniger und sie tun sich schwerer mit dem Erwerb der Lesefertigkeiten. Das bezeichnet man als Lesesozialisation.

Wir beobachten aber auch, dass Leseprobleme oft von familiären Anlagen herrühren (Legasthenie) und dort die Lesesozialisation eine geringere Rolle spielt. Ein Elternteil hat dann oft keine Probleme mit dem Lesen und es liest deswegen häufiger. Das von Legasthenie betroffene Elternteil liest weniger oder es liest nur Texte, die mit seinem beruflichen Kontext zu tun haben. Der promovierte Maschinenbauer z.B. liest nur Fachbücher für sein berufliches Vorankommen und vermeidet es, gemeinsam mit den Kindern zu lesen. Deshalb übernimmt dann das andere Elternteil die Aufgabe des Lesens mit den Kindern.

Als Fazit kann man sagen, dass die familiäre Lesesozialisation deutliche Auswirkungen auf die Lesegenese der Kinder hat. Auch die von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Lesedidaktik spielt hier eine große Rolle. Die Schule kann beim Bewältigen der Leseprobleme helfen, aber sie kann nicht die familiäre Leseübung ersetzen. Die Grundlage für gute Lesefähigkeiten wird in den Familien gelegt. Klappt das nicht, kann das Schwierigkeiten bei der Leseentwicklung der Kinder begünstigen. Diese beiden Punkte sollten in der Forschung stärker berücksichtigt werden.

 

Wie können LRS-Kinder gut durch die Corona-Pandemie kommen?

Seit mehr als 13 Monaten befindet sich die Welt in der Corona-Pandemie. In diesem Artikel wollen wir beschreiben, wie sie sich speziell auf Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwächen auswirkt. Verschiedene Faktoren, die im Einzelfall sehr unterschiedlich sein können, beeinflussen die schulische Entwicklung inmitten der Krise.

Wir haben vor allem festgestellt, dass Kinder mit speziellem Förderbedarf nicht nur Hilfe bei der Bewältigung ihrer schulischen Probleme beim Lesen und Schreiben benötigen. Viel wichtiger ist bei ihnen die Stabilisierung der psycho-sozialen Ebene. In diesem Bereich beobachten wir deutliche Probleme bei Kindern mit Lernschwierigkeiten. Es treten vermehrt Unsicherheiten, Ängste und Demotivation auf. Deshalb brauchen diese Kinder deutlich mehr Unterstützung auf der psychischen Ebene. Wir Fachleute benötigen da viel Einfühlungsvermögen, um die Schwierigkeiten zu erkennen und zu verstehen.

Eltern können dabei sehr viel helfen, indem sie ihren Kindern inneren Halt und viel Liebe geben. Das Thema Corona-Krise sollte kein Tischgespräch sein. Ein kindgerechter Umgang mit dieser Situation ist wichtig, um ihnen zu vermitteln, dass auch diese Krise zu Ende geht, auch wenn wir Erwachsenen nicht einschätzen können, wann genau das sein wird. Wir müssen uns halt in Geduld üben. Aber jede Krise in der Menschheitsgeschichte hatte ein Ende, wie zum Beispiel die beiden Weltkriege oder die mittelalterliche Pest. Dabei wissen wir, dass eine nüchterne Betrachtung der Situation durch die Eltern nicht einfach ist, besonders wenn sie von einem Jobverlust bedroht sind. Eltern sollten diese realen Ängste nicht als beängstigendes Bedrohungsszenario vermitteln, denn Kinder können damit nicht gut umgehen. Aber die Probleme dürfen durchaus angesprochen werden. Ein Beispiel – Wenn die Mama ihre Arbeit verliert, dann sucht sie sich einen neuen Job oder erlernt einen neuen Beruf. Die Eltern sollten die realen Probleme mit positiven Aussichten kommunizieren.

Die Ängste der Eltern übertragen sich oft auf die Kinder und können sich so ungünstig auf die Kinderseelen auswirken. Kinder mit Lernschwierigkeiten sind oftmals empfänglicher für solche sozial-emotionalen Stimmungen in der Familie als Kinder, die keine Lernprobleme haben. Deshalb ist gerade in diesen Krisenzeiten ein umsichtiges Verhalten gegenüber den Kindern dringend zu empfehlen.

Wenn Eltern zuversichtlich und konstruktiv mit dieser Situation umgehen, können gute Erfahrungen daraus gezogen werden. Das macht die Kinder und ihre Familien auch resilienter, denn Krisenzeiten gehören zum Leben dazu. Das sollte man auf kindgerechte Art und Weise vermitteln.

Sollten Eltern länger anhaltende seelische Probleme beobachten, ist es sinnvoll, Hilfe bei Kinder- und Jugendärzten oder Sozialberatungsstellen zu suchen. Eltern sollten jede Hilfe in Anspruch nehmen, um die angespannte Familiensituation zu erleichtern. So stehen die Chancen gut, dass auch Kinder mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche gut durch die Krise kommen. Die Eltern spielen dabei eine sehr wichtige Rolle für eine seelisch stabile Entwicklung der Kinder.

So kann langfristig psychischen Problemen vorgebeugt und eine gute Krisen-Resilienz trainiert werden, die für das weitere Leben sehr hilfreich ist. Damit können die Kinder zu gesunden und selbstbewussten Persönlichkeiten heranwachsen.

Ein Jahr Corona-Pandemie – unsere Erfahrungen und Beobachtungen

Heute schreiben wir den Monat April 2021 und blicken auf ein Jahr Corona-Pandemie zurück. In diesem Bericht möchten wir die Erfahrungen und Beobachtungen reflektieren, die wir während der Arbeit in unserem Institut gesammelt haben.

Wer hätte gedacht, dass es nach einem Jahr der Pandemie nicht sonderlich besser geworden ist? Traut man den Aussagen mancher Forscher, wird diese Phase noch einige Zeit andauern. 2021 wird nüchtern betrachtet nicht viel anders verlaufen als 2020. Weitere Prognosen sind reine Kaffeesatzleserei. Wir müssen uns mit den Verhältnissen dieser Pandemie arrangieren, auch wenn man sich nach der gewohnten Normalität zurücksehnt. Ob sie jemals wiederkommen wird, wissen wir nicht. Aber wahrscheinlich wird die Post-Corona-Normalität anders aussehen.

Wir stellen uns immer wieder diese Fragen: Wie werden sich die Lockdowns auf die psycho-soziale Entwicklung unserer Schützlinge auswirken? Wie wirken sich die Schulschließungen auf den Schriftspracherwerb der Kinder aus? Wird dadurch der Anteil der Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwächen ansteigen? Als Bildungs- und Forschungseinrichtung stellen wir uns diesen Fragen, weil sie unser Fachgebiet betreffen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Corona-Pandemie psychische Probleme begünstigt. Sehr wahrscheinlich entwickeln viele Kinder Lernschwierigkeiten aufgrund der Schulschließungen. Wir können dazu keine verallgemeinernden Antworten liefern, aber wir berichten von den Momentaufnahmen dieses Jahres.

Es wird sehr deutlich, dass die Unterschiede zwischen bildungsnahen und bildungsfernen Familien durch die Krise noch stärker sichtbar sind. Kinder in sozial schwächeren Familien erleben solche Krisenzeiten als bedrohlicher und unsicherer als Kinder der Mittelschicht, in denen beide Elternteile einer Arbeit nachgehen können. Deshalb kann man davon ausgehen, dass bildungsferne Kinder aufgrund der Lockdowns und Schulschließungen verstärkt Verhaltensprobleme und deutliche Lernrückschritte entwickeln können. Andererseits haben auch bildungsnahe Familien eine deutlich höhere Last unter den Pandemiebedingungen zu tragen. Das kann aber meistens durch ein stabiles Familiengefüge gut kompensiert werden. Wahrscheinlich wird man erst in den kommenden Jahren die Auswirkungen der aktuellen Krise auf unser Fachgebiet realistisch beobachten und bewerten können.

Wir sehen erste Indikatoren dafür, dass sich die Schulschließungen besonders bei Kindern mit Lernschwierigkeiten ungünstig auswirken. Viele Kinder erleben Ängste und deutliche Lernrückstände beim Lesen und Schreiben. Diese Unterschiede waren vor der Corona-Krise nicht so groß. Es ist denkbar, dass die aktuelle Krise mit den Lockdowns und dem schulischen Hin und Her den Erwerb von LRS begünstigen wird. Auch die Kinder mit einer veranlagten Legasthenie bekommen durch die Krise größere Probleme. Zusammenfassend kann man sagen: Je länger diese Krise anhält, desto größer werden die Defizite bei Kindern mit Lernschwierigkeiten. Im Homeschooling ist es für jüngere Kinder fast unmöglich, Lerndefizite beim Erwerb der Schriftsprache zu kompensieren, denn es fehlt ihnen die professionelle schulische Betreuung. So wird es zu einem Anstieg der LRS bei Schülern kommen.

Das sind unsere ersten Beobachtungen. Es gibt aber auch positive Entwicklungen zu berichten, bei denen Kinder mit deutlichen Leseproblemen vom Homeschooling profitiert haben. Denn sie mussten deutlich mehr Texte lesen und verstehen. Auch bei den Schülern der Sekundarstufe sahen wir gute Fortschritte. Manche Kinder haben auch durch die individuelle Hilfe der Eltern und Großeltern beim Lernen profitiert.

Ein sehr großer Teil der Kinder hat deutlich mit den schulischen Lockdowns zu kämpfen. Die meisten Kinder sehnen sich nach einem normalen Schulbetrieb. Besonders das Hin und Her zwischen Schulöffnung und Schließung sorgt für Unsicherheit bei den Kindern. Immer wieder haben wir Kinder erlebt, die geweint haben, weil sie mit dem Homeschooling überfordert waren. Auch die Eltern haben uns von einer deutlichen Mehrbelastung berichtet. Natürlich wird die Situation in den einzelnen Familien unterschiedlich erlebt. Trotzdem sollte die Politik einen klaren Plan entwerfen, wie man Schule unter Pandemiebedingungen besser organisiert.

Wie sich die Lage in der nächsten Zeit entwickeln wird, werden wir weiter beobachten und dann davon berichten.