Warum ist das Thema LRS-Klasse ein viel diskutiertes Thema?

Wir erleben es seit der Gründung unseres Instituts hier in Dresden, dass Sonderschulen in Form von LRS-Klassen ein viel diskutiertes Thema sind. Es braucht zu diesem Thema noch viel Aufklärungsarbeit bei Eltern, die Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten haben.

Warum sind LRS-Klassen ein viel diskutiertes Thema?

Objektiv gesehen sind LRS-Klassen selbst in der Fachwelt ein umstrittenes Thema. Sie existieren nur in Sachsen und Thüringen. Auch die Selbsthilfeverbände sind sich in ihrer Beurteilung uneins. Der Landesverband Legasthenie Sachsen spricht sich für eine derartige Beschulung aus. Dagegen spricht sich der Kindes- und Jugendpsychiater Gerd Schulte-Körne für eine Einzeltherapie bzw. Einzelförderung bei Legasthenikern aus und findet eine Gruppenförderung weniger hilfreich. Es gibt bei den Legasthenie-Verbänden unterschiedliche Auffassungen darüber, ob LRS-Klassen für legasthene Schüler geeignet sind oder nicht. Nach unseren Beobachtungen der letzten Jahre kann gesagt werden, dass sich diese Sonderbeschulung unterschiedlich auf die Kinder auswirkt. Diese Klassen können eine Ergänzung zur Bewältigung der Schwächen darstellen – sie müssen es aber nicht. Bei einigen Kindern kann es vorkommen, dass diese nach einer LRS-Klasse nur wenige Fortschritte gemacht haben. Hier spielen individuelle Lernprobleme und die familiäre Unterstützung eine große Rolle, ob die Schüler eine Legasthenie oder LRS bewältigen können. Diese Lernunterstützung in Gruppenform und einem eng begrenzten Zeitraum ist in nicht wenigen Fällen zu wenig.

Die Ursachen der Lese-Rechtschreib-Schwächen werden zu wenig berücksichtigt

Weil man die Ursachen für Lese-Rechtschreib-Schwächen bei einer LRS-Feststellung zu wenig berücksichtigt, kann es dabei zu Fehleinschätzungen kommen. Häufig fallen Kinder mit höherer Intelligenz und einer Lese-Rechtschreib-Schwäche nicht auf und fallen durch das LRS-Kriterium der Schule. Die meisten positiv getesteten Kinder fallen durch familiäre Probleme und deutliche sprachliche oder motorische Defizite auf und kommen dann in eine LRS-Klasse. LRS-Feststellungen bedeuten deshalb keine Individualdiagnostik, sondern sind ein grobes Gruppentest-Verfahren, was meistens nur eine symptomatische Einschätzung ermöglicht. Die Ursachen für diese unterschiedlichen Schwächen werden meistens nicht berücksichtigt, da den Fachleuten oft das Hintergrundwissen fehlt. Kinder werden erst dann gute Lernfortschritte erlangen, wenn die Ursachen für die Schwierigkeiten erkannt werden. Diese liegen nicht selten im sozialen Hintergrund der Familie (trifft bei LRS zu) oder Elternteile hatten ähnliche Schwierigkeiten in der Schule (trifft bei Legasthenie zu) oder das Kind erlebte bei normaler Intelligenz eine verlangsamte kindliche Entwicklung. Diese Hinweise fehlen in der Regel im LRS-Feststellungverfahren. Deshalb kommt es immer wieder zu falschen Einschätzungen.

Inklusion und der Aspekt der Menschenwürde

In der Bildungspolitik steht das Thema Inklusion schon seit längerer Zeit auf der Agenda. LRS-Klassen sind aus dieser Perspektive umstritten, weil die betroffenen Schüler mit dieser Beschulungsform separiert und nicht integriert werden. Wir kennen Schüler, die nach der LRS-Klasse größere Schwierigkeiten hatten, in der 4. Klasse ihrer Heimatschule wieder fußzufassen. Aus dem Aspekt der Menschenwürde heraus steht jedem Kind eine individuelle Integration zu. Daraus ergeben sich Fragen, über die sich alle Beteiligten Gedanken machen müssen. Aus Berichten von Betroffenen und deren Eltern wissen wir, dass LRS-Klassen oft soziale Brennpunkte sind. Zumindest ist das aus den größeren Städten wie Dresden, Leipzig und Chemnitz zu hören. Hier stellt sich die Frage, ob diese Herangehensweise dann wirklich einen integrativen Zweck hat. Besser wäre es für die betroffenen Schüler, wenn sie ein sozial stabiles Lernumfeld erleben. Dadurch verbessern sich die Chancen, die Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb zu bewältigen. Leider wird der soziale Gesichtspunkt im Bildungswesen nicht berücksichtigt.

In Zeiten der Inklusion braucht es eigentlich keine LRS-Klassen, sondern die Lehrer an den Schulen sollten in der Lage sein, Kinder differenziert entsprechend ihrer Veranlagungen und Fertigkeiten zu unterstützen. Aus diesem Grund werden LRS-Klassen ein viel diskutiertes Thema bleiben und das Thema Menschenwürde sollte dabei nicht vernachlässigt werden. Kinder können durch diese Separationserfahrung langfristig einen seelischen Schaden nehmen. Uns sind einige Fälle von Erwachsenen bekannt, die mit dieser Erfahrung psychische Folgen davongetragen haben. Die Eltern sollten sich genau mit der Thematik auseinandersetzen und die Entscheidung für oder gegen eine solche Sonderschule gemeinsam mit dem Kind abwägen – sind sich Eltern unsicher, sollten sie sich von Experten beraten lassen, um eine objektive Entscheidung zu treffen. Viele Schulen sind bei der Beratung der Eltern leider häufig nicht objektiv. Den Familien steht das Recht zu, eine selbstständige und mündige Entscheidung zum Wohle des Kindes zu treffen. So kann die Bewältigung der Schwäche gelingen.

 

 

Mein Kind will in keine LRS-Klasse gehen

Mein Kind will in keine LRS-Klasse gehenAus unserer Forschungsarbeit kennen wir die Tatsache, dass Kinder ungern in eine LRS-Klasse gehen wollen oder sich dem komplett verweigern. Das Berichten sowohl Eltern von betroffenen Kindern als auch erwachsene Betroffene, die eine LRS-Klasse besucht haben. Eltern und Pädagogen sollten Verständnis dafür haben, wenn die Kinder im Lernumfeld ihrer Klasse bleiben möchten.

  1. Fachlicher Hintergrund und unterschiedliche Bewertung der LRS-Klassen

LRS-Klassen sind in der Fachwelt und in der Elternschaft ein umstrittenes Thema. Es gibt dabei unterschiedliche Einschätzungen und biografische Verläufe, die wir bei Kindern oder erwachsenen Betroffenen beobachten. Deshalb kommt es immer wieder zu familiären Streitigkeiten, ob ein Kind auf eine LRS-Klasse gehen soll oder nicht. Die Kinder werden auch in unterschiedlichem Maß in diesen Entscheidungsprozess einbezogen. Zum Teil werden Kinder gezwungen in diese Sonderschule zu gehen, oder sie können sich dafür oder dagegen entscheiden. Der Umgang in den Familien mit der Thematik LRS-Klasse ist unseren Beobachtungen zufolge recht unterschiedlich.

Ein Teil der Eltern verteidigt diese Beschulungsform als ideal für eine Förderung und andere wiederum lehnen sie wegen einer möglichen Ausgrenzung und Stigmatisierung ab. Dies liegt häufig am unzureichenden Wissen der Eltern, die oft wenig über die unterschiedlichen Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten aufgeklärt sind. Leider betrifft das auch viele Pädagogen, die als LRS-Lehrer bezeichnet werden. Hier gibt es deutliche Defizite, um die Eltern mit ihren betroffenen Kindern objektiv aufzuklären.

Oft fehlt es an objektiver Aufklärung, um die Lernentwicklung abzuschätzen

Ein Fehler ist, dass das Bildungswesen den Eltern die LRS-Klassen als Allheilmittel gegen sämtliche Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten vermitteln will. LRS-Klassen können im Einzelfall eine Unterstützung sein. Das bedeutet aber nicht, dass der Besuch dieser Sonderklasse in jedem Fall zu einer vollständigen Kompensation der Schwäche führen muss. Genauer gesagt, es gibt unterschiedliche Ursachen für die Schwächen und diese können in Klassen mit ca. 14-16 Schülern nur in sehr geringem Maße berücksichtigt werden. Das müssen Eltern und Lehrer wissen und verstehen. Eine LRS-Förderung darf nicht kollektivistisch verstanden werden, sondern sie muss vom einzelnen Schüler und seiner individuellen Entwicklung hergedacht werden. Jeder Schüler hat unterschiedliche Entwicklungsvoraussetzungen, daher ist es sehr wichtig, die Schwäche vom Einzelfall her zu verstehen. LRS-Klassen können sich nicht an den individuellen Lernbedürfnissen orientieren. Deshalb profitieren nicht alle LRS-Betroffenen gleichermaßen davon.

Das war erst einmal der fachliche Hintergrund. Dieser wird von vielen Eltern und auch von den Schulen oft nicht richtig verstanden. Der Wissensstand zum Thema LRS und Legasthenie ist bei den Schulen und den Eltern sehr unterschiedlich.

  1. Wie geht man mit Kindern um, die eine LRS-Klasse ablehnen?

Eltern und Lehrer sollten bei einer ablehnenden Haltung einer LRS-Klasse gegenüber mit Verständnis reagieren. Betroffene Schüler reagieren unterschiedlich auf eine LRS-Sonderschule, weil sie psycho-emotional unterschiedlich beschaffen sind. Sensible Kinder können mit Ablehnung und Wut reagieren, wenn sie bemerken, dass sie aus ihrem gewohnten Lernumfeld herausgenommen werden sollen. Dann kann es vorkommen, dass sie auf eine Separation in eine LRS-Klasse negativ reagieren. In manchen Fällen werden sie deshalb gehänselt oder gar gemobbt. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es wegen dieser Separationserfahrung Bedenken, dass sich die Beschulung in einer LRS-Klasse nicht immer positiv auf die kindliche Entwicklung auswirken kann. Kinder sollten eine Inklusion in ihrer Heimatschule erfahren. Hier sollte besonders auf die Entwicklung einer psychisch stabilen Persönlichkeit geachtet werden. Reagieren Kinder sehr emotional auf diesen Vorschlag (LRS-Klasse), sollten sich die Eltern Rat bei Fachleuten suchen, die objektiv beurteilen können, ob eine LRS-Klasse für die Entwicklung des Kindes hilfreich ist oder andere Wege bei der Bewältigung ihrer Schwäche passender erscheinen.