Expertenrat: Bei Lese-Rechtschreib-Problemen ist frühe Hilfe wichtig

Kinder, die sich über einen längeren Zeitraum (mindestens 6 Monate) mit dem Lesen und Schreiben schwertun, können von einer Lese-Rechtschreib-Schwäche betroffen sein. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Eltern sollten sich frühzeitig Hilfe bei Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten der Kinder suchen. Auch wenn es zuerst nur ein Verdacht ist, sollten die Eltern die Probleme nicht vernachlässigen oder ignorieren.

Lernschwierigkeiten treten unabhängig von der sozialen Schicht oder dem Bildungsstand der Eltern auf. Es ist daher nicht nur ein soziales Umweltproblem. Häufig hatten Vater oder Mutter trotz guten Schulabschlusses ähnliche Schwierigkeiten in der Schule oder besuchten als Kinder eine LRS-Klasse. Dann besteht eine 50-60 prozentige Wahrscheinlichkeit, dass auch ihre Kinder von einer Lese-Rechtschreib-Schwäche betroffen sind. In diesem Fall spricht man von einer Legasthenie (Dyslexia).

Andererseits können bei Kindern in der frühen Entwicklung der Sprache und Motorik Probleme auftreten. Diese Kinder sind im Regelfall normal intelligent, sie haben sich nur beim Erlernen der Sprache oder in der Motorik etwas langsamer entwickelt. Das kann ein Hinweis auf mögliche spätere Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb sein.

Wichtig ist auch, den Medienkonsum der Kinder durch Fernsehen und Tablet- oder Handynutzung zu beachten. Mehr als 5 Minuten pro Lebensjahr des Kindes sollte er am Tag nicht betragen. Sonst besteht die Gefahr, dass durch den erhöhten Medienkonsum die Kinder einen geringeren Wortschatz sowie Artikulations- und Sprachprobleme entwickeln können. Außerdem können Schwierigkeiten in der Konzentrationsfähigkeit auftreten, wenn die Eltern den Medienkonsum nicht regulieren.

Zuletzt spielt auch die Schule beim Schriftspracherwerb in den ersten Grundschuljahren eine sehr wichtige Rolle. Probleme können dabei auftreten, wenn Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten durch didaktische Mängel (Schweizer Modell) antrainiert werden oder eine Legasthenie wegen Unwissenheit der Eltern oder Lehrer verschleppt wird.

Leider kennen sich nicht alle Lehrer oder Fachleute ausreichend mit den Ursachen einer LRS oder Legasthenie aus, auch wenn sie in LRS-Klassen unterrichten oder LRS-Förderungen durchführen. Deshalb passiert es immer wieder, dass die Probleme der Kinder nicht richtig erkannt werden und sie nicht die passende Hilfe erfahren. Die Dunkelziffer der fehlerhaften LRS-Feststellungen und unpassenden Hilfen für betroffene Kinder ist nach unserer Einschätzung recht hoch, denn wir erleben dies immer wieder im Alltag unserer Arbeit.

Fazit:

Eltern sollten es nicht auf die lange Bank schieben, wenn sie bemerken, dass sich ihre Kinder über einen längeren Zeitraum mit dem Lesen und Schreiben schwertun. Insbesondere wenn sie Probleme mit dem flüssigen Lesen sowie dem fehlerfreien und lautgetreuen Schreiben haben. Spätestens zu Beginn der zweiten Klasse sollten sich deutliche Fortschritte bei den Schülern einstellen. Wenn das häusliche Üben keine Fortschritte bringt, sollten sich die Eltern professionelle Hilfe suchen. Besonders wichtig ist das, wenn die Eltern selbst von einer Lese-Rechtschreib-Schwäche betroffen sind. In diesem Fall sollte man schon sehr früh auf die Entwicklung der Kinder beim Lesen und Schreiben achtgeben, da eine Legasthenie vererbt werden kann. Je früher dann die Hilfe ansetzt, desto günstiger stehen die Chancen, eine mögliche Legasthenie oder LRS zu bewältigen. Es ist sehr wichtig, die Kinder vor seelischen Problemen zu schützen. Dabei kann eine differenzierte Diagnostik und lerntherapeutische Förderung eine gute Prävention darstellen. Werden die Schwierigkeiten nämlich nicht bewältigt, können sich psychische Probleme entwickeln, die sich bis in das Erwachsenenalter hinein auswirken.

Haben wir eine hausgemachte Rechtschreibkatastrophe?

Lese- und Rechtschreibprobleme haben scheinbar in den letzten Jahren zugenommen. Dies liegt mit Sicherheit nicht an uns Legasthenikern. Neben dieser sehr speziellen Lese-Rechtschreibschwäche (Legasthenie) gibt es viele andere Ursachen, die als Auslöser für den Erwerb von Lese-Rechtschreibschwächen (LRS) zu beobachten sind. Wir haben oft mit verunsicherten Eltern über die möglichen Probleme gesprochen, die vermutlich ein Hinweis für hausgemachte Rechtschreibschwierigkeiten sind, welche von unserem Bildungswesen begünstigt werden.

Eine wesentliche Ursache für den Erwerb von LRS stellt die Unterrichtsqualität an den Grundschulen dar, die für die Eltern undurchsichtig ist. Uns Fachleuten geht es damit häufig nicht anders! Denn man kann oft nicht richtig nachvollziehen, nach welcher Methode Lehrer in ihren Schulkursen den richtigen Schrifterwerb vermitteln. Scheinbar gibt es hier einen wichtigen Hinweis darauf, warum die Probleme zu hausgemachten Schwierigkeiten in der Grundschulzeit werden. Haben nämlich Lehrer keine Vorgaben, wie sie den Kindern didaktisch das Lesen und Schreiben vermitteln sollen, herrscht mit großer Wahrscheinlichkeit ein methodisches Chaos. Das Kultusministerium gibt nur den Lehrplan vor, aber leider nicht die Methode für den Schriftspracherwerb.

Deswegen beobachten wir ein Durcheinander an den Dresdner Grundschulen, weil jede Schule ihre Methode wählen darf, die sie für passend hält. Häufig werden keine wissenschaftlich überprüften Methoden für den Anfangsunterricht verwendet. Das kann nur zu Problemen führen! Zusätzlich wird häufig das umstrittene und wissenschaftlich nicht belegte Schweizer-Modell verwendet, bei dem die Kinder durchs Lesen mittels der Anlauttabelle das Schreiben erlernen sollen. Nicht selten beobachten wir, dass viele Kinder dann in der Grundschule durch die falschen Methoden Probleme in der Rechtschreibung bekommen, worin wahrscheinlich eine maßgebliche Ursache für den hausgemachten Erwerb von LRS liegt. Darum werden Kinder mit wirklichen Legasthenien gar nicht erkannt. Deshalb haben wir ein sehr schwammiges Bild, wo die Ursachen dieser Lernprobleme zu suchen sind. So sind auch die LRS-Feststellungen der Schulen häufig sehr unklar, weil man nicht die Ursachen und didaktischen Fehler des Unterrichts mitberücksichtigt.

Außerdem wird auch die Methode häufig gewechselt. In der 1. Klasse lernen Kinder nach dem Schweizer-Modell, in der 2. Klasse wird dann zum Fibel-Modell gewechselt. Schon dieser Wechsel verursacht bei den Kindern größere Probleme, um mit dem Schriftspracherwerb nicht durcheinander zu kommen. Was das Schweizer-Modell betrifft, gibt es schon seit vielen Jahren in der Fachwelt Streit und keinen wirklichen Konsens. Denn es gibt einige Indizien dafür, das dieses Reformpädagogische-Modell vom Schweizer Pädagogen Jürgen Reichen[1] wahrscheinlich ein wesentlicher Verursacher im Erwerb von LRS zu sein scheint. Zahlreiche Wissenschaftler und Pädagogen, wie beispielsweise Renate Valtin[2], kritisieren inzwischen das von Reichen entwickelte Konzept scharf. Untersuchungen zeigen eine teilweise drastische Verschlechterung der Rechtschreibung beispielsweise bei Grundschülern der vierten Klasse gegenüber Vergleichsgruppen, die von Anfang an die korrekte Rechtschreibung gelernt haben. Besonders für Legastheniker, Kinder aus bildungsfernen Schichten und Kinder mit fremdsprachlichem Migrationshintergrund ist diese Unterrichtsmethode problematisch[3] .

Das Gleiche beobachten wir auch bei Kindern, die an Grundschulen mit der analytisch-synthetischen Methode (Fibel-Methode)[4] unterrichtet wurden. Diese machen bei der Diagnostik wesentlich weniger orthografische Fehler und können in der Regel auch flüssiger lesen, obwohl Legasthenien bei Kindern in diesen Familien vorliegen. Aus Klassen mit dem Schweizer-Modell berichten uns Eltern, dass manchmal 5-6 Kinder einer Jahrgangsstufe Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben. Diese werden dann häufig zur LRS-Feststellung geschickt! Unserer Meinung nach ist die Methode nach Jürgen Reichen eine problematische Unterrichtsmethode. Sie wird häufig an den Schulen in Dresden, die sich in freier Trägerschaft befinden, angewandt. Aber auch staatliche Grundschulen haben seit der Wendezeit diese Methode verstärkt eingesetzt. Wir sehen, bei allen positiven Entwicklungen an privaten Schulen, in diesem Bereich die meisten Probleme. Uns sind jedenfalls nur wenige Privatschulen in Dresden bekannt, die nach dem Fibel-Modell unterrichten. Nicht selten wird das Schweizer-Modell als Unterrichtsmethode gewählt, oder es gibt einen Methodenmix (methodenintegrierende Verfahren, oder „offene Lernangebote“).

Wir sehen, das es bei den Kindern, die mit offenen Methoden oder nach der Reichen-Methode unterrichtet werden, mehr Rechtschreibschwierigkeiten gibt als in Klassen mit dem klassischen Modell. Kindern mit einer Legasthenie wird es noch wesentlich schwerer fallen. Diese Modelle versprechen zwar Offenheit und Kreativität, sind aber für den systematischen Lese- und Rechtschreiberwerb eher ungeeignet. Nicht selten beobachten wir diese Schwierigkeiten an den Privatschulen, aber auch an staatlichen Schulen, zumindest was die Rechtschreiblehrgänge betrifft. Es gibt aber auch Schulen, die die klassische Fibel-Lern-Methode anwenden. Darauf sollten Eltern bei der Suche nach einer passenden Schule unbedingt achten, besonders wenn es in der Familie mehrere Legastheniker gibt!

Das ist nur eine kurze Beschreibung der Probleme, die wir an Grundschulen in Dresden und Sachsen auf unserem Fachgebiet beobachten. Häufig ist dann bei einer LRS-Feststellung und LRS-Förderung an den Schulen oder Nachhilfeeinrichtungen mit ähnlichen Problemen zu rechnen, weil häufig nicht methodisch ausreichend auf die Kinder eingegangen werden kann.

Fazit:

Sieht man sich die Probleme genauer an, kann man hier von einer größeren Wahrscheinlichkeit ausgehen, dass wir wesentlich weniger Kinder mit Lese-Recht-Schreibschwäche (LRS) haben müssten. Und Legastheniker würden wir viel deutlicher erkennen, wenn es nur in unserer Fachwelt mehr Differenzierung zwischen LRS und Legasthenie gäbe. Dabei wird es schon anhand der methodischen Probleme im Anfangsunterricht deutlich, dass es sich hierbei um hausgemachte Probleme handeln muss. Kinder mit einer Legasthenie werden daher oft mit LRS-Kindern gleichgesetzt, deshalb werden diese häufig nicht richtig erkannt! Sie erhalten auch deswegen keine bestmögliche Diagnostik und Förderung, da man die hausgemachten Umweltprobleme mit dem Lesen und Schreiben im Bildungswesen nicht berücksichtigt.

Erstveröffentlichung vom 10.März 2014, überarbeitet am 23.06.2016

Dankeschön

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Über solche Rückmeldungen von Eltern freuen wir uns. J. sollte vor 2 1/2 Jahren in eine staatliche LRS-Klasse in Dresden gehen.

Seine Familie entschied sich für unsere Einzelförderung, die nachweislich erfolgreich war. Denn heute hat er seine LRS sehr gut bewältigt. Dieser Schüler war kein Legastheniker, sondern hatte eine erworbene Lese-Recht-Schreibschwäche. In der damaligen Grundschule wurde das Schweizer-Modell im Deutschunterricht angewendet, denn in seiner Familie gab es zuvor keine derartigen Probleme im Schriftspracherwerb.

Für uns ist es ein weiterer Hinweis, das LRS, wie in diesem Fall erworben sein kann. Denn nicht jede Lernschwäche im Fach Deutsch bedeutet Legasthenie.  

Diesen Sommer konnte er auf eine private Oberschule wechseln.