Ein Kommentar von Lars Michael Lehmann, Legasthenie-Experte und Fachjournalist

expertenrat legasthenie und dyskalkulieDer MDR-Expertenrat thematisierte wieder einmal das Thema „Legasthenie und Dyskalkulie“, diesmal mit der Lerntherapeutin und Leiterin des Duden Instituts für Lerntherapie Ria Schmidt aus Dresden. Die kommerzielle Franchisekette bietet schon seit 20 Jahren integrative Lerntherapie im Bereich Lese-Recht-Schreibschwäche und Rechenschwäche an.

Es ist gut, dass dieses Thema wieder einmal in den Medien thematisiert wurde. Es wurden viele Dinge angesprochen, die wir auf der Sachebene teilen. Kritisch zu betrachten ist die Darstellung der Ursachen, der Diagnose und Einzelförderung von LRS, Legasthenie und Dyskalkulie – die Erklärungen hierzu waren nicht ausdifferenziert genug, um die Öffentlichkeit aufzuklären.

Richtig ist – Lese-Recht-Schreibschwächen und Rechenschwäche bedeuten keine Krankheit. Warum spricht man dann von Therapie? Gesunde Kinder benötigen keine Therapie! Es ist ein Widerspruch in sich, wenn man dann von einer Therapie spricht.

Die Lese-Recht-Schreibschwächen haben unterschiedliche Ursachen. Zum einen gibt es familiäre Häufungen, wie sie in Studien und in unserer Statistik beobachtet werden. Man kann dabei von ca. 50-60 Prozent der Lese-Recht-Schreibschwächen ausgehen, die fachlich richtig als Legasthenie beschrieben werden. Hier spielt ein Anlagen-Umwelt-Komplex eine wichtige Rolle, der auf diese spezielle Lese-Recht-Schreibschwäche (Legasthenie) hindeutet.

Dann gibt es erworbene bzw. vorübergehende Schwächen im Schriftspracherwerb, die als LRS zusammengefasst werden sollten. Maßgeblich sind hier Ursachen in der Umwelt der Betroffenen, wie die Lernsozialisation, das soziale Umfeld der Familie und die Lernmethodik im Hinblick auf die Unterrichtsqualität im Fach Deutsch. Außerdem können weitere Entwicklungsprobleme der Kindheit wie eine geringere Intelligenz, Sprache, Motorik sowie Erkrankungen der Augen und Ohren für die Lernschwäche im Schriftspracherwerb verantwortlich sein.

In Bezug auf Rechenschwächen / Dyskalkulie verhält sich der Ursachen-Komplex sehr ähnlich. Auch dort gibt es, wie bei LRS und Legasthenie, Lehr- und Lernschwächen. Diese Schwächen haben verschiedene Ausprägungen, die im Bildungswesen häufig nicht richtig differenziert und erkannt werden. Die Synonyme Lese-Recht-Schreibschwäche und Rechenschwäche bedeuten nur grobe Umschreibungen als Lernschwächen im Schriftsprach- und Rechenerwerb, ohne die Ursachen dafür genauer zu erkennen.

Für eine qualifizierte Förderung braucht es eine differenzierte Förderdiagnostik, da eine LRS-Feststellung im Bildungswesen oder durch SPZ und Schulpsychologen für eine Förderung und Bewältigung unzureichend ist. Erfahrungsgemäß sind Legasthenien in der Förderung und Kompensation langwieriger, sie benötigen meist ein intensiveres Training als die LRS, sofern diese nicht mit Entwicklungsverzögerungen einhergehen.

Für den Laien noch einmal genauer erklärt: So wie es Grippale Infekte gibt, gibt es auch Erkältungen mit ähnlichen Krankheitssymptomen, sodass Ärzte häufiger ihre Mühe haben, die Ursachen zu unterscheiden. So verhält es sich auch mit den Lese-Recht-Schreib- und Rechenschwächen, die zwar ähnliche Symptome, aber unterschiedliche Ursachen haben.

Daher sind die Feststellungen im Bildungswesen allgemein als unzureichend einzustufen. Es ist fraglich, ob ohne Diagnostik eine differenzierte Bewältigung der LRS und Legasthenie sowie Rechenschwäche möglich ist, wie es die Expertin berichtet.

Außerdem ist die Gesetzgebung, wonach betroffene Schüler nach §35a von einer seelischen Behinderung bedroht sein müssen, aus der Menschenrechtsperspektive kritisch zu sehen. Diese Eingruppierung greift zu kurz, denn ein wichtiges Bestreben muss sein, unsere Kinder vor einer seelischen Behinderung zu bewahren, wie es das Jugendhilfegesetz vorsieht. Denn sekundäre psychosomatische Erkrankungen sind dann aus verhaltenstherapeutischer Sicht nur mühsam für die Betroffenen zu bewältigen. Dort besteht die Gefahr, dass Betroffene eine irreparable seelische Behinderung davontragen. Daher ist von dieser Herangehensweise aus ethischer Sicht abzuraten. Ähnlich schwierig verhält es sich mit dem Bildungspaket „Bildung und Teilhabe“, da es eine differenzierte Förderung nicht für 22,50 Euro pro Stunde gibt. Es ist fraglich, ob sozial schwächere Familien von dieser Herangehensweise der Bildungspolitik profitieren. Tendenziell ist davon auszugehen, dass sozial schwächere Familien damit ins Hintertreffen geraten werden. Denn sie können so nicht die Hürden überwinden, um eine qualitativ hochwertigere Einzelförderung zu erhalten. Darum ist diese Herangehensweise im Bildungswesen und der Politik  unverständlich.

Hier können Sie die kommendierte Sendung noch einmal nachhören.