Interview: Methodenvielfalt statt einzelner Förderprogramme sind in der Förderung bei Legasthenie am wirksamsten

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Immer wieder gibt es heiße Debatten über die Wirksamkeit diverser Methoden. Unbestritten ist, dass es auch unwirksame und umstrittene Methoden gibt, andere wiederum haben sich in der Praxis und Forschung in den letzten 20 Jahren bewährt. Für dieses Interview konnten wir die Präsidentin vom Ersten Österreichischen Dachverband Legasthenie, Frau Dr. Astrid Kopp-Duller, gewinnen, die in der pädagogisch-didaktischen Förderung über viel Erfahrung verfügt. 

Frage:

Vor einigen Monaten wurde von einer Münchner Forschergruppe in einer Metaanalyse im „PLOS One – Magazin“ eine Studie veröffentlicht und bestätigt, dass der Buchstaben-Laut-Bezug in der Förderung legasthener Kinder eine wichtige Rolle spielt. Was ist für den Laien unter diesem Ansatz genauer zu verstehen? 

Dr. Astrid Kopp-Duller:

Zur Verbesserung eines Teils des phonologischen Bewusstseins müssen sehr basale Prozesse der Laut-Buchstaben-Zuordnung und umgekehrt systematisch geübt werden. Dabei wird zunächst gelernt, die einzelnen Laute und Silben zu unterscheiden und den entsprechenden Schriftbildern zuzuordnen. Erst nach und nach kommt die Eingliederung und Erkennung der Zeichen und Laute in Worten und Sätzen hinzu. Geübt werden müssen also Laute – Silben, Silben – Wörter, Wörter – Sätze, kurze und lange Wörter, Anlaute – Endlaute, Wörterreimen etc.

 

Frage:

Aus der besagten Studie ging hervor, dass nur wenige Förderansätze bei legasthenen Kindern helfen würden. Es wurden 20 Methoden auf die Wirksamkeit untersucht. Im Bereich LRS-Förderung oder Legasthenietherapie gibt es heutzutage unzählige Ansätze. Die einen zielen auf die Förderung einzelner Teilbereiche der Wahrnehmung ab, beispielsweise auf die Korrektur von Blickspringen mittels spezieller Prismen und Brillen, auch als Optometrie bekannt. Dann gibt es verschiedene Hörtrainings für die phonologische Bewusstheit (Buchstaben- und Lautsegmentierung), wie es häufig bei Logopäden der Fall ist oder auch bei Vertretern von Methoden, die auf die lautgetreue Förderung setzen. Laut der Studie wurde keinem dieser Ansätze in seiner Effektivität als Förderansatz ein nachhaltiger Erfolg bestätigt. Wie kommt es, dass es so viele verschiedene Ansätze gibt?

 

Dr. Astrid Kopp-Duller: 

Das Methodenspektrum ist sehr umfassend und in der Studie hat man nur einige Ansätze beleuchtet. Die Aussage, dass nur wenige Förderansätze bei legasthenen Kindern helfen, sollte wohl eher als polemische Vermutung denn als wissenschaftlich gesichertes Faktum verstanden werden, da man sich andernfalls in der praktischen Arbeit folgenreichen Beschränkungen unterwerfen würde.

Fakt ist, dass die Schreib- und Leseprobleme zumeist sehr facettenreich sind, weshalb es auch eine Vielzahl von Ansätzen gibt und geben muss. Eine Methode, die in jedem Falle erfolgreich ist, gibt es allerdings nicht. Spezialisten, welche diesen Kindern gezielt helfen wollen, müssen deshalb offen für eine Methodenvielfalt sein. Die auditive bzw. akustische Ebene ist nur eine von mehreren, in der betroffene Kinder eine Förderung benötigen.

 Frage:

Methodenvielfalt bestätigt die Praxis in der Förderung von legasthenen Kindern, auch nach unseren Erfahrungen. Einzelne Programme, u.a. das von der Fachwelt vielzitierte „Marburger Rechtschreibtraining“ oder das „Reuter-Liehr-Konzept“, haben bisher nur eine vage Effizienz als Hilfsansatz in der Förderung von Kindern mit Legasthenie aufzuweisen. Es gibt dazu keine unabhängigen Feldstudien (Follow-up-Studien) aus der Praxis und keine interdisziplinäre Begutachtung mit Vergleichsstudien, sondern zumeist nur klinische Laborversuche. Das Einzige ist, dass man den Buchstaben-Laut-Bezug bei diesen Ansätzen herausgestellt hat. Ein einzelnes Programm kann kein wirksamer Ansatz für die Betroffenen sein, wie es der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. bestätigt. Das ist zu kurzsichtig, weil die Probleme der Kinder viel umfassender sind. Wie könnte man hier den Kindern in der pädagogisch-didaktischen Förderung nachhaltiger helfen und welche wissenschaftlichen Belege in Form von Studien gibt es dafür?

 

Dr. Astrid Kopp-Duller:

Es ist für nachhaltige Erfolge unbedingt notwendig, dass man als Spezialist bei der pädagogisch-didaktischen Förderung individuell und gezielt vorgeht, weil die Probleme der Betroffenen sehr unterschiedlich sind. Wir wissen, dass legasthene Menschen eine besondere Informationsverarbeitung haben und damit verbunden eine besondere Lernfähigkeit. Wird man in der Förderung diesen Anforderungen gerecht, so lernen auch diese Menschen das Schreiben und Lesen. Ein lediglich verstärktes Üben im Schreib- und Lesebereich führt in den meisten Fällen nicht zum gewünschten Erfolg. Hilfe muss deshalb in den Bereichen einsetzen, die vorwiegende Schwierigkeiten bereiten. Die AFS-Methode ist eine seit zwanzig Jahren weltweit bewährte Methode, welche drei Schwerpunkte in der Förderung setzt. Großer Wert wird in der Förderung neben einem individuellen Symptomtraining im Schreiben und Lesen auch auf die Aufmerksamkeitsfokussierung und die für ein erfolgreiches Schreiben und Lesen unerlässliche Schulung der Sinneswahrnehmungsleistungen gelegt. Ein Teil der AFS-Methode besteht darin, dass jene Sinneswahrnehmungen, die man für ein problemloses Schreiben und Lesen benötigt, gefördert werden. Auch die Verbesserung des phonologischen Bewusstseins, insbesondere der Laut-Buchstaben-Zuordnung, wird von diplomierten Legasthenietrainer/innen im Rahmen der AFS-Methode schon seit jeher sehr erfolgreich praktiziert.

Grundsätzlich hat sich bestätigt, dass ein verstärktes Schreiben- und Lesenüben alleine bei den meisten Kindern nicht zum Erfolg führt.

Die AFS-Methode ist nicht nur eine umfassende, sondern auch eine für approbierte Ansätze offene Methode. Die Methodenvielfallt, die Spezialisten im Rahmen der AFS-Methode einsetzen, ist für einen Erfolg unerlässlich. Eine wissenschaftliche Langzeitstudie von 2001 bis 2006 mit über 3000 Probanden bestätigte auch die erzielten langfristigen Verbesserungen der Schreib- und Leseleistungen der Probanden.

Wir bedanken uns für das freundliche Interview bei Frau Dr. Astrid Kopp-Duller.

Ratgeber: Pseudo-Methoden aus der Esoterik in Förderung und Coaching sind strikt abzulehnen

Esoterik hat in der LRS-Fördderung nichts zu suchen!Ratgeber: Pseudo-Methoden aus der Esoterik sind bei Förderung und Coaching strikt abzulehnen

In den letzten Jahren haben wir in Dresden verschiedene Verfahren bzw. Methoden beobachtet, die bei betroffenen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zur Anwendung kamen.

Diese werden eingesetzt, um – mit wissenschaftlich nicht gesicherten Methoden – die visuelle oder auditive Verarbeitung der Teilleistungen bei den Kindern zu therapieren. Andere widmen sich den Problemen im Kopfgelenk (KISS-Syndrom), oder sie wollen mit Hörtraining, Blicktraining, Sehschule oder Händigkeitstraining eine Legasthenie, LRS oder Dyskalkulie wegtherapieren. Für diese Methoden gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Eine Legasthenie / Dyskalkulie kann aber erwiesenermaßen durch pädagogische Förderung und mithilfe der Gesundheitsberufe ausgeglichen werden. Bei einer LRS oder erworbenen Rechenschwäche können Verhaltensprobleme durch Psychotherapie gelöst werden. Probleme mit der auditiven Wahrnehmung können auch im Kindesalter durch einen Logopäden gut behandelt werden.

Eine professionelle Einzelförderung basiert auf pädagogisch-didaktischen Methoden, bei denen spirituelle oder esoterische Ansätze nichts zu suchen haben.

Wir haben folgende Methoden auf unsere Negativliste gesetzt:

Diese Methoden versuchen u.a. auch Schwächen im Lesen, Schreiben und Rechnen sowie Verhaltensprobleme und Lernblockaden zu therapieren. Leider haben diese Ansätze bei nicht wenigen Fachleuten wie Pädagogen, Therapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden Anklang gefunden.

Besonders perfide ist, dass die anvertrauten Schützlinge und Klienten meist zu wenig über diese Methoden wissen. Sie lassen sich mit diesen Pseudo-Methoden aus Psychologie und Esoterik behandeln, ohne sie im Detail zu kennen.

Daher müssen auch Eltern sensibilisiert werden, um nicht auf Arbeitsweisen hereinzufallen, die sehr viel Geld kosten, aber wenig nutzen bzw. nur Placebo-Effekte bewirken und dadurch große Enttäuschungen bringen – denn nicht selten werden große Wirkungen versprochenen. Sie sind i.d.R. auch nicht wissenschaftlich anerkannt.

Umfassende Einzelförderung muss auf sachlogischen und wissenschaftlich fundierten Theorien beruhen und verfolgt eine systematische fachdidaktische Hilfe. Das Coaching basiert auf einer professionellen methodischen Wissens- und Strategievermittlung durch wissenschaftliche und praktische Erfahrung auf diesem Gebiet. Feedback und Zielvereinbarungen gehören zur klassischen Herangehensweise, um auch nachweislich Lernfortschritte zu belegen. Das ist recht unspektakulär, bringt aber langfristige Lernerfolge in der Förderung und persönlichen Entwicklung des Schützlings. Daher ist dieser Weg auch deutlich effektiver als grenzwertige Ansätze, für die keine logischen und wissenschaftlichen Theorien existieren.

Eltern sollten sich bei der Suche nach passender Hilfe auch nach der Methodik erkundigen – ist diese fachdidaktisch nachvollziehbar? Oder entstammt sie vielleicht irgendwelchen Pseudo-Methoden?

Wir haben zu dieser Thematik im Fachmagazin wirtschaft & weiterbildung eine gute Buchempfehlung entdeckt.

Das „Schwarzbuch Personalentwicklung – Spinner in Nadelstreifen“ von Dr. Viktor Lau befasst sich zwar mit der Weiterbildung von Fach- und Führungskräften. Man kann die Aussagen dieses Buches auch auf unseren Fachbereich übertragen, der schon seit vielen Jahren sehr fragwürdige Blüten treibt.  Nicht selten kommen diese Ansätze auch bei verschiedenen Lerntherapeuten, Logopäden und Ergotherapeuten zur Anwendung.

Das Buch ist im Verlag Steinbeis-Edition erschienen.

Erstveröffentlichung 13.09.2013, überarbeitete Version vom 31.08.2016

Einen weiteren Artikel zum Thema: LRS-Förderung ist frei von alternativ-esoterischen Ansätzen, finden Sie hier.