Ist das Marburger Rechtschreibtraining empfehlenswert?

rechtschreibtrainingDas Marburger Rechtschreibtraining wurde in den letzten 13 Jahren von Gerd Schulte-Körne und Frank Mathwig als regelgeleitetes Förderprogramm entwickelt. Es ist in diesem Jahr in der 5. Auflage beim Verlag Dr. Dieter Winkler e. K. in Bochum erschienen. Es wurde von der Stiftung Lesen „Legasthenie“ als Leseempfehlung 144 empfohlen.

Auf den ersten Blick ist es ein dicker Ringordner mit 388 S. für einen stolzen Preis von 94,50 Euro. Beim ersten Durchblättern gefällt die übersichtliche Gliederung mit einer durchdachten Anleitung für die praktische Anwendung. Das Förderprogramm ist gut durchdacht und logisch aufgebaut. Auch Eltern finden sich darin gut zurecht.

Die Übungen können von Fachleuten schnell eingesetzt werden. Uns gefällt die kreative Umsetzung mit vielen harmonisch gewählten Grafiken und Bildern. Dieser Ansatz stellt einen guten visuellen Bezug für die Kinder beim Verinnerlichen der Übungen dar. Der Laut-Buchstaben-Bezug kann durch diese Übungen logisch und regelgeleitet aufgebaut werden. Mit acht Regeln und zwölf Trainingseinheiten werden die grundlegenden Rechtschreibgrundlagen für die Grundschule bis zur 5. Klasse vermittelt. Es wurde der bewährte Grundwortschatz von Pregel und Rickheit für die Aufgaben verwendet.

Die Arbeitsblätter werden von zwei bunten Figuren (Kathi und Anton) begleitet. Das bietet den Kindern mit den anschließenden Übungen gute Verinnerlichungshilfen. Am Ende des Kapitels können die Lernfortschritte überprüft werden. Es wurden sowohl ein guter Zeilenabstand als auch eine gut lesbare Schrift zum Lesen der Aufgaben gewählt.

Nach unserer Einschätzung kann dieses Programm eine gute methodische Ergänzung sein, um bei Kindern mit Lese- und Rechtschreibschwächen die Grundlagen zu legen, die sie im Schulwesen häufig nicht erhalten. Das geschieht mittels logischen und kindgerecht aufgebauten Übungen.

Der Herausgeber des Förderprogramms empfiehlt in seiner Anleitung für Fachleute, nur dieses Marburger Rechtschreibtraining in der Förderung von Kindern mit Legasthenie zu verwenden. Andere Methoden oder Ansätze sollten dabei nicht angewandt werden. Das ist unserer Meinung nach nicht zu empfehlen!

Unser Fazit:

Das Marburger Rechtschreibtraining kann man als sinnvolle Ergänzung in der Einzelförderung bei Kindern mit Rechtschreibschwierigkeiten anwenden. Es sollte aber nicht als einziges Programm zur Anwendung kommen, denn es gibt viele weitere Methoden, die sich bewährt haben. Kinder haben auch unterschiedlich Freude am Lernen. Das Programm ist nicht in der Gruppenförderung einsetzbar.

Kinder können durchaus von diesen Ansatz profitieren, denn das Programm ist logisch und regelgeleitet aufgebaut. Es ist nach unserer Meinung das einzige dieser Art auf dem deutschen Markt, auch wenn es recht teuer ist.

Kinder scheinen signifikante Fortschritte durch ein regelmäßiges Training gemacht zu haben, dies wurde vom Herausgeber mit vier Studien belegt. Es handelt sich aber, unserer Recherche nach, nicht um unabhängige Belege. Außerdem muss man wissen, dass der Herausgeber und die anderen Fachleute dieses Trainings dem  Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e. V. angehören. Daher sollte man die evaluierten Signifikanzen nicht überbewerten. Glaubhafter wäre es, wenn keine Verbandsfunktionäre diese Studien durchgeführt hätten – daher ist der wissenschaftliche Aspekt des Programms eher überbewertet.

Nach unserer Meinung könnten die meisten Kinder – auch ohne LRS und Legasthenie – von so einer regelgeleiteten Methode in der Schule profitieren. Denn wir haben an den Schulen häufig das Problem, dass der Deutschunterricht selten zielgerichtet und methodisch aufgebaut ist. Daher haben wir wesentlich mehr Kinder mit erworbenen Lese-Recht-Schreibschwächen als es nötig wäre. Auch diese Kinder würden vom Laut-Buchstaben-Bezug dieser Methode profitieren.

Bei Interesse können Sie sich hier über „Das Marbuger Rechtschreibtraining“ informieren.

Erste Veröffentlicht am 28.04.2014, 2. Überarbeitung am 8.06.2016

 

Schön das sich Bildungspolitiker für den Erhalt der Schreibschrift aussprechen – trotzdem müssen unsere Grundschulen besser werden

Ein Kommentar von Lars Michael Lehmann

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Handschrift eines Schülers, der 4. Klasse, der eine LRS-Klasse besuchte

Schön das sich Bildungspolitiker für den Erhalt der Schreibschrift aussprechen – trotzdem müssen unsere Grundschulen besser werden

Das sich unsere Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) für den Erhalt der Schreibschrift ausspricht, ist begrüßenswert. Skandinavien wird stets als Vorbild gelobt. Die Abschaffung der Schreibschrift – wie in Finnland ab 2016 favorisiert – ist aber ein Rückschritt im Bildungswesen. Es ist ein positives Signal, dass Sachsen an der Schreibschrift weiterhin festhalten will.

Wir schließen uns dem VBE (Lehrerverband) an, der eine ähnliche Sichtweise vertritt. Nach dem VBE, darf die geschriebene Handschrift in der Grundschule, nicht zur Diskussion stehen. Kinder müssen diese grundsätzliche Fähigkeit, neben dem Umgang mit den Computer erlernen.

Der bekannte deutsche Hirnforscher und Psychologe Manfred Spitzer sagt in einem Interview bei Artour „Jemanden, der etwas lernen soll, dem wollen wir eigentlich nichts vereinfachen,… denn je komplizierter die Abläufe im Gehirn beim Lernen sind, desto mehr wird im Gedächtnis abgespeichert. Die Benutzung des Gehirns ist der Speicher: Je einfacher jemand schreibt, und tippen ist noch einfacher, desto weniger bleibt hängen. Jedes Wort hat eine eigene Form, weil es eine Gesamtgestalt ist, dann bin ich auf einer wesentlich komplexeren Ebene der Informationsverarbeitung und das ist die Voraussetzung dafür, dass mehr gelernt wird…Deshalb will ich die Schrift nicht so einfach wie möglich machen…Die Schreibschrift ist wesentlich besser als die Druckschrift, das zeigen Studien…“

Man kann, hier noch weitere lernpsychologische Effekte hinzufügen, wie die Förderung der Fein- und Grobmotorik, die Kindern hilft, eine bessere Rechtschreibung zu erlernen. Nach unseren Erfahrungen lernen die Kinder dann den Laut-Buch-Staben-Bezug besser, der für die Kinder in der Grundschulzeit, für das Lernen einer fehlerfreien Grammatik hilfreich ist. Kindern wird es mit dem Schreiben der Druckschrift zu leicht gemacht. Im Vergleich zur flüssigen Handschrift lernen die Kinder weniger und bringen schlechtere Schulleistungen, als es von ihrer Intelligenz her zu erwarten wäre – wie auf dem Bild eines Viertklässlers aus einer LRS-Klasse zu sehen ist. Ferner ist die Handschrift ein wichtiges Persönlichkeitsmerkmal. Jeder Schüler hat eine Handschrift mit einem ganz persönlichen Charakter. Die Erkenntnisse der Hirnforschung stehen im Widerspruch zur Verwendung eines Tablets oder einer Tastatur im Unterricht. Das Erlernen einer Schreibschrift, ist eine wichtige Voraussetzung für das Lernen allgemein. Es ist fahrlässig, ein handschriftliches Schreiben vollkommen durch den Computer zu ersetzten.

Gerade für lese- und rechtschreibschwache Schüler ist die Druckschrift problematisch, da diese Schüler bei dem Erlernen der Schriftsprache besonders Schwierigkeiten haben. Die Druckschrift benachteiligt Kinder mit LRS zusätzlich. Wir haben den Eindruck, dass nach wie vor unsere Kinder viel zu wenig, an das handschriftliche Schreiben herangeführt werden. Zumindest was das intensive Üben betrifft. Eine Intensivierung ist für eine bessere Grammatik dienlich – auch für legasthene Schüler.

Das Festhalten unserer Bildungspolitiker an der Schreibschrift ist ein guter Ansatz, aber eigentlich brauchen wir dringend eine grundlegende Reform des Grundschulwesens. Es ist sinnvoll, für unsere Schüler eine einheitliche und wissenschaftlich fundierte Vermittlung der Schriftsprache im Fach Deutsch zu erhalten. Von der Politik müssen sinnvolle Reformen folgen, denn eine zielgerichtete Förderung des Schriftspracherwerbes bei Grundschüler, hilft präventiv dem Erwerb von Lese-Recht-Schreibschwächen (LRS) vorzubeugen. So sparen wir uns die strittige Separation der Kinder in LRS-Klassen. Und für uns Fachleute, wird es leichter, Schüler zu fördern, die von Natur aus Probleme mit dem Schriftspracherwerb haben.

http://www.mdr.de/kultur/video207098.html

 

 

Interview: Methodenvielfalt statt einzelner Förderprogramme sind in der Förderung bei Legasthenie am wirksamsten

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Immer wieder gibt es heiße Debatten über die Wirksamkeit diverser Methoden. Unbestritten ist, dass es auch unwirksame und umstrittene Methoden gibt, andere wiederum haben sich in der Praxis und Forschung in den letzten 20 Jahren bewährt. Für dieses Interview konnten wir die Präsidentin vom Ersten Österreichischen Dachverband Legasthenie, Frau Dr. Astrid Kopp-Duller, gewinnen, die in der pädagogisch-didaktischen Förderung über viel Erfahrung verfügt. 

Frage:

Vor einigen Monaten wurde von einer Münchner Forschergruppe in einer Metaanalyse im „PLOS One – Magazin“ eine Studie veröffentlicht und bestätigt, dass der Buchstaben-Laut-Bezug in der Förderung legasthener Kinder eine wichtige Rolle spielt. Was ist für den Laien unter diesem Ansatz genauer zu verstehen? 

Dr. Astrid Kopp-Duller:

Zur Verbesserung eines Teils des phonologischen Bewusstseins müssen sehr basale Prozesse der Laut-Buchstaben-Zuordnung und umgekehrt systematisch geübt werden. Dabei wird zunächst gelernt, die einzelnen Laute und Silben zu unterscheiden und den entsprechenden Schriftbildern zuzuordnen. Erst nach und nach kommt die Eingliederung und Erkennung der Zeichen und Laute in Worten und Sätzen hinzu. Geübt werden müssen also Laute – Silben, Silben – Wörter, Wörter – Sätze, kurze und lange Wörter, Anlaute – Endlaute, Wörterreimen etc.

 

Frage:

Aus der besagten Studie ging hervor, dass nur wenige Förderansätze bei legasthenen Kindern helfen würden. Es wurden 20 Methoden auf die Wirksamkeit untersucht. Im Bereich LRS-Förderung oder Legasthenietherapie gibt es heutzutage unzählige Ansätze. Die einen zielen auf die Förderung einzelner Teilbereiche der Wahrnehmung ab, beispielsweise auf die Korrektur von Blickspringen mittels spezieller Prismen und Brillen, auch als Optometrie bekannt. Dann gibt es verschiedene Hörtrainings für die phonologische Bewusstheit (Buchstaben- und Lautsegmentierung), wie es häufig bei Logopäden der Fall ist oder auch bei Vertretern von Methoden, die auf die lautgetreue Förderung setzen. Laut der Studie wurde keinem dieser Ansätze in seiner Effektivität als Förderansatz ein nachhaltiger Erfolg bestätigt. Wie kommt es, dass es so viele verschiedene Ansätze gibt?

 

Dr. Astrid Kopp-Duller: 

Das Methodenspektrum ist sehr umfassend und in der Studie hat man nur einige Ansätze beleuchtet. Die Aussage, dass nur wenige Förderansätze bei legasthenen Kindern helfen, sollte wohl eher als polemische Vermutung denn als wissenschaftlich gesichertes Faktum verstanden werden, da man sich andernfalls in der praktischen Arbeit folgenreichen Beschränkungen unterwerfen würde.

Fakt ist, dass die Schreib- und Leseprobleme zumeist sehr facettenreich sind, weshalb es auch eine Vielzahl von Ansätzen gibt und geben muss. Eine Methode, die in jedem Falle erfolgreich ist, gibt es allerdings nicht. Spezialisten, welche diesen Kindern gezielt helfen wollen, müssen deshalb offen für eine Methodenvielfalt sein. Die auditive bzw. akustische Ebene ist nur eine von mehreren, in der betroffene Kinder eine Förderung benötigen.

 Frage:

Methodenvielfalt bestätigt die Praxis in der Förderung von legasthenen Kindern, auch nach unseren Erfahrungen. Einzelne Programme, u.a. das von der Fachwelt vielzitierte „Marburger Rechtschreibtraining“ oder das „Reuter-Liehr-Konzept“, haben bisher nur eine vage Effizienz als Hilfsansatz in der Förderung von Kindern mit Legasthenie aufzuweisen. Es gibt dazu keine unabhängigen Feldstudien (Follow-up-Studien) aus der Praxis und keine interdisziplinäre Begutachtung mit Vergleichsstudien, sondern zumeist nur klinische Laborversuche. Das Einzige ist, dass man den Buchstaben-Laut-Bezug bei diesen Ansätzen herausgestellt hat. Ein einzelnes Programm kann kein wirksamer Ansatz für die Betroffenen sein, wie es der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e.V. bestätigt. Das ist zu kurzsichtig, weil die Probleme der Kinder viel umfassender sind. Wie könnte man hier den Kindern in der pädagogisch-didaktischen Förderung nachhaltiger helfen und welche wissenschaftlichen Belege in Form von Studien gibt es dafür?

 

Dr. Astrid Kopp-Duller:

Es ist für nachhaltige Erfolge unbedingt notwendig, dass man als Spezialist bei der pädagogisch-didaktischen Förderung individuell und gezielt vorgeht, weil die Probleme der Betroffenen sehr unterschiedlich sind. Wir wissen, dass legasthene Menschen eine besondere Informationsverarbeitung haben und damit verbunden eine besondere Lernfähigkeit. Wird man in der Förderung diesen Anforderungen gerecht, so lernen auch diese Menschen das Schreiben und Lesen. Ein lediglich verstärktes Üben im Schreib- und Lesebereich führt in den meisten Fällen nicht zum gewünschten Erfolg. Hilfe muss deshalb in den Bereichen einsetzen, die vorwiegende Schwierigkeiten bereiten. Die AFS-Methode ist eine seit zwanzig Jahren weltweit bewährte Methode, welche drei Schwerpunkte in der Förderung setzt. Großer Wert wird in der Förderung neben einem individuellen Symptomtraining im Schreiben und Lesen auch auf die Aufmerksamkeitsfokussierung und die für ein erfolgreiches Schreiben und Lesen unerlässliche Schulung der Sinneswahrnehmungsleistungen gelegt. Ein Teil der AFS-Methode besteht darin, dass jene Sinneswahrnehmungen, die man für ein problemloses Schreiben und Lesen benötigt, gefördert werden. Auch die Verbesserung des phonologischen Bewusstseins, insbesondere der Laut-Buchstaben-Zuordnung, wird von diplomierten Legasthenietrainer/innen im Rahmen der AFS-Methode schon seit jeher sehr erfolgreich praktiziert.

Grundsätzlich hat sich bestätigt, dass ein verstärktes Schreiben- und Lesenüben alleine bei den meisten Kindern nicht zum Erfolg führt.

Die AFS-Methode ist nicht nur eine umfassende, sondern auch eine für approbierte Ansätze offene Methode. Die Methodenvielfallt, die Spezialisten im Rahmen der AFS-Methode einsetzen, ist für einen Erfolg unerlässlich. Eine wissenschaftliche Langzeitstudie von 2001 bis 2006 mit über 3000 Probanden bestätigte auch die erzielten langfristigen Verbesserungen der Schreib- und Leseleistungen der Probanden.

Wir bedanken uns für das freundliche Interview bei Frau Dr. Astrid Kopp-Duller.