Im Bereich der Lese-Rechtschreib-Probleme wird heutzutage das Thema der Sozialisation neben den medizinisch-psychologischen Ursachen noch zu wenig beachtet. Warum ist es aber wichtig, diese soziale Dimension besser zu verstehen?

Die Sozialisierung der Betroffenen ist von entscheidender Bedeutung für unser Thema und es ist an der Zeit, diesem Aspekt mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die meisten Diskussionen und Forschungen haben sich bisher auf medizinisch-psychologische Ursachen und Therapieansätze konzentriert, wobei die soziale Dimension oft vernachlässigt wurde. Warum sollte man die soziale Komponente mehr in die Diskussion einbeziehen?

Zunächst einmal ist es entscheidend zu verstehen, dass Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten nicht nur individuelle Herausforderungen darstellen, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf das soziale Leben eines Betroffenen haben können. Besonders im Kindesalter spielt die soziale Umwelt eine große Rolle.

Hierbei ist es wichtig zu verstehen, wie das Elternhaus als primäre Sozialisierung bei Kindern funktioniert. Wie ist das soziale Umfeld des Kindes – bildungsnah oder bildungsfern, sozial schwach oder abgesicherte Mittelschicht, wird zuhause gelesen und geschrieben? Haben die Eltern selbst diese Schwierigkeiten erlebt und sind ihre eigenen Fähigkeiten nur gering? Besteht in der Familie kein Interesse am Lesen und Schreiben? Die soziale Umwelt der Kinder wirkt sich direkt auf deren sprachliche Basisfähigkeiten aus, da die Eltern sowohl positiv als auch negativ auf die Entwicklung der Sprachgrundlagen einwirken können. Zusätzlich gibt es entwicklungsbedingte Sprachauffälligkeiten bei Kindern, auch hier können die Eltern zu einer positiven Entwicklung beitragen. Wird hier nicht früh genug eingegriffen, dann werden die Probleme verschleppt und es können sich langfristig Lernschwierigkeiten entwickeln, die sich dann auch auf die psychosoziale Entwicklung der Kinder auswirken. Deshalb ist eine frühzeitige Sprachförderung oder Logopädie so wichtig. Haben die Eltern kein Verständnis für diese Probleme oder verweigern sie die notwendige Hilfe, dann werden die Kinder in der Schulzeit größere Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben bekommen. An diesem Punkt sieht man die wichtige Rolle der sozialen Umwelt.

Die frühe Sozialisation ist daher nicht zu unterschätzen. Die Forschung macht deutlich, dass die ersten Jahre von der Geburt bis zur Pubertät eine wichtige Phase für die positive oder negative Entwicklung der Kinder sind. Der Aspekt der Sozialisation hat aber noch deutlich mehr Dimensionen. Im kommenden Jahr (2024) werden wir uns noch ausführlicher mit diesem Thema beschäftigen.