1. Prävalenz und erstes Erkennen von Dyskalkulie
Nach aktuellen Studien leiden 4 – 7 % aller deutschen Kinder an einer Rechenschwäche (Ärzte‑Blatt 2019). In der Schulzeit wird diese Schwäche häufig nicht rechtzeitig erkannt; betroffene Kinder wirken im Unterricht meist unauffällig, solange sie keine zusätzlichen psychischen Begleiterkrankungen haben.
Schon in der Grundschulzeit zeigen engagierte Kinder langanhaltende Rechenschwierigkeiten, obwohl sie intensiv üben. Die Grundrechenarten werden dann sehr mühsam und mit großem Kraftaufwand erlernt.
2. Ursachen und kognitive Profile
Rechenschwächen können zu starken psychischen Belastungen führen, stehen jedoch nicht mit einer niedrigen Intelligenz in Verbindung. Kinder mit einer Rechenschwäche besitzen einen anderen Zugang zu den einfachsten mathematischen Grundlagen.
Häufig treten diese Schwächen familiär gehäuft auf und können eine erblich‑bedingte Komponente haben.
Typische kognitive Defizite, die mit Dyskalkulie einhergehen, sind:
– räumliches Vorstellungsvermögen
– Links‑Rechts‑Unterscheidung
-Arbeitsgedächtnis (Kurzzeit‑Speicher für Informationen, die gerade verarbeitet werden)
-Aufmerksamkeit und Konzentration
Wie bei LRS und Legasthenie diskutieren Fachleute, dass es sowohl vorübergehende Rechenschwierigkeiten als auch eine erblich‑neurologische Dyskalkulie gibt. Da die Forschung bislang wenig Klarheit schafft, fällt es dem Schulsystem schwer, die Störung eindeutig zu erkennen und zu klassifizieren. Oft treten gleichzeitig Lese‑ und Rechtschreibprobleme auf – die Schwächen können also komorbid (gleichzeitig) sein.
3. Vorübergehende vs. persistente Rechenschwierigkeiten
Manche Kinder haben lediglich erworbene Rechenschwierigkeiten, die sich nach intensivem Üben und Nachhilfe meist überwinden lassen. Diese ähneln jedoch den verankerten Rechenschwächen, wodurch selbst Fachleute die Unterscheidung manchmal erschwert finden.
4. Frühe Anzeichen im Kindergarten
Eine Dyskalkulie kann bereits im frühen Kindesalter sichtbar werden.
Typische Warnsignale im Kindergarten sind:
– wenig Interesse an Ziffernsymbolen (statt „Zahlsymbolen“)
Ablehnung von Zählspielen
-Verwechslung von Himmelsrichtungen (oben/unten, links/rechts)
Solche Hinweise gelten als prädiktive Vorläuferfähigkeiten für spätere Rechenleistungen in der Grundschule.
5. Manifestation in der Grundschule
In der Grundschulzeit werden die Schwierigkeiten deutlicher, weil das sonst clevere Kind beim Rechnen nur sehr langsam vorankommt. Diese Verzögerung kann zu psychischen Belastungen führen, sobald das Kind wiederholt frustrierende Lernerfahrungen macht. Der familiäre oder soziale Hintergrund beeinflusst die Ausprägung selten maßgeblich.
6. Handlungsempfehlungen für Eltern
Beobachten: Achten Sie seit mehr als einem halben Jahr auf anhaltende Rechenprobleme.
Früh intervenieren:
Suchen Sie professionelle Hilfe (Lerntherapie, Förderunterricht, neuro‑psychologische Diagnostik).
Stärken fördern: Identifizieren Sie Bereiche, in denen Ihr Kind glänzt (z. B. Kunst, Sport) und nutzen Sie diese als Motivation.
Je früher Sie handeln, desto besser lassen sich die Defizite ausgleichen. Kinder mit Rechenschwäche besitzen häufig ausgeprägte Fähigkeiten in anderen Bereichen; deren gezielte Förderung stärkt das Selbstwertgefühl.
7. Prognose und Langzeitperspektive
Viele Kinder profitieren von einer gezielten Lerntherapie und können ihre Schwäche im Schulalltag weitgehend ausgleichen. Wie sich Therapieansätze bis ins Erwachsenenalter auswirken, ist bislang unklar; die Mehrheit entwickelt jedoch altersgerechte schulische Leistungen. Auch wenn nicht alle zu Mathematik‑Experten werden, lautet die zentrale Botschaft: Frühzeitiges Eingreifen verhindert langfristige Nachteile.
8. Fallbeispiel: Doris
Doris ist acht Jahre alt und besucht die zweite Klasse einer regulären Grundschule. Sie ist ein aufgewecktes, fröhliches Kind, hat jedoch deutliche Schwierigkeiten im Fach Mathematik. Das Zählen bis 20 gelingt ihr kaum, und sie muss häufig die Finger zum Rechnen benutzen. Neben dem Addieren und Subtrahieren fällt ihr das Gespür für Mengen und Größenunterschiede schwer, sodass sie sich zunehmend dumm und unverstanden fühlt. Ihre Eltern sind überfordert, weil Doris im Alltag sonst als intelligent wahrgenommen wird.
In der dritten Klasse wird bei ihr eine schwere Dyskalkulie diagnostiziert, begleitet von Konzentrationsschwierigkeiten. Sie erhält eine gezielte Lerntherapie über 24 Monate sowie begleitende Verhaltenstherapie durch einen Kinderpsychologen. Während dieser Zeit macht sie langsame, aber stetige Fortschritte im Rechnen, was ihr Selbstwertgefühl stärkt. Der kombinierte Ansatz aus evidenzbasierten Lernmethoden und psychologischer Unterstützung zeigt, dass Kinder mit Rechenschwäche sich gut entwickeln können, wenn Geduld und Fachkompetenz eingesetzt werden.
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Literaturverzeichnis
- Ärzte‑Blatt (2019). Diagnostik und Behandlung der Rechenstörung. Deutscher Ärzteverlag GmbH. Verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/diagnostik-und-behandlung-der-rechenstoerung-1cac4d3c-58af-4940-80bb-c30cb5cd42f5 (Abruf 4.12.2025).
- O A (2025). Anzeichen und Prävention von Dyskalkulie im Kindergartenalter. Psychologisch‑Pädagogische Praxis. Verfügbar unter: https://kinderpsychologischepraxis-wien.at/anzeichen-und-praevention-von-dyskalkulie-im-kindergartenalter (Abruf 4.12.2025).

