Die Generation der Wende-Jugend und -Kinder und das Thema Legasthenie

In der DDR war der Begriff Legasthenie als spezielle Lese-Rechtschreib-Schwäche kaum bekannt. Viele Betroffene besuchten eine „Hilfsschule“, die noch heute als „Förderschule mit Schwerpunkt Lernen“ existiert. In einigen Großstädten gab es in den 80er Jahren neben den Sprachheilschulen LRS-Klassen, wie es sie heute noch in Sachsen gibt. Doch welche Erfahrungen haben die Wendekinder mit Legasthenie / LRS in ihrer schulischen Biografie gemacht? Wie haben sie die Wendeerfahrungen erlebt und verarbeitet? Diesem Thema möchten wir hier nachgehen.

Die Generation der Wendejugend (Jg. 1971-1980) und Wendekinder (Jg. 1981–1989) [Lettrari et al. 2016] – in der DDR geboren und teilweise sozialisiert – erfuhr oft eine andere Art der Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Lernschwierigkeiten als ihre Altersgenossen in den alten Bundesländern.

Die Wendeerfahrung wird von der erwachsenen Generation unterschiedlich beschrieben und bewertet, was eng mit der DDR-Sozialisierung zusammenhängt. Entsprechend werden auch die Erfahrungen mit den Lese-Rechtschreib-Schwächen anders wahrgenommen. In den alten Bundesländern war die Legasthenie schon früher als Teilleistungsschwäche anerkannt, während sie in der DDR oft als Lernbehinderung angesehen wurde. Viele Kinder und Jugendliche der Wendezeit mussten deshalb während ihrer Schullaufbahn eine Förderschule besuchen. Einige Betroffene erreichten auch einen regulären Abschluss an der POS bzw. EOS. Im DDR-System wurden Familien mit positivem Verhältnis zum Staat mehr unterstützt, auch wenn sie nicht die nötigen Leistungen erbrachten. Andersdenkende wurden in der schulischen und beruflichen Entwicklung oft benachteiligt, das betraf auch Legastheniker in christlichen Familien.

Mit der Wende brach das ganze System zusammen, viele Menschen erlebten einen Bruch ihrer Identität und Sozialisation und standen plötzlich vor großen Herausforderungen. Vor allem Kinder und Jugendliche erlebten eine Orientierungslosigkeit, weil ihre Eltern mit diesem Systembruch offensichtlich überfordert waren. Viele von LRS und Legasthenie Betroffene erhielten in dieser Zeit keine Hilfe, denn eine entsprechende Diagnostik und Lerntherapie gab es damals in Ostdeutschland nicht. Üblich waren nur die LRS-Klassen, die als kollektivistisches Relikt der DDR verstanden werden können, das die individuellen Lernprobleme nur unzureichend behandelt wurden.

Zu den biografischen Brüchen dieser Wendegeneration kamen für die Betroffenen die Schwierigkeiten hinzu, ihre Probleme beim Lesen und Schreiben zu erkennen. LRS und Legasthenie waren in der DDR-Bevölkerung kaum bekannt und galten oft als ein Stigma. In den alten Bundesländern hatten sich seit den 60er Jahren andere Auffassungen entwickelt, wonach diese Betroffenen nicht automatisch lernbehindert waren. Hier wird deutlich, dass der Umgang mit Legasthenie / LRS eng mit dem sozialen Umfeld verbunden ist. In einer freien Gesellschaft ist es theoretisch leichter, diese Lernschwierigkeiten zu bewältigen.

Bisher wurde das Thema Wendekinder und -jugend im Kontext von Legasthenie und LRS kaum wissenschaftlich erforscht. Wir sind in unserem beruflichen Alltag immer wieder mit diesen Biografien und den Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschland konfrontiert. Um die biografischen Veränderungsprozesse zu verstehen, ist es wichtig, sich mit den Hintergründen und den unterschiedlichen Sozialisationen zu beschäftigen.

 

Literaturverzeichnis:

Lettrari, Adriana; Nestler, Christian; Troi-Boeck, Nadja (Hrsg.) (2016): Die Generation der Wendekinder. Elaboration eines Forschungsfeldes. Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 127

Mein Kind will in keine LRS-Klasse gehen

Mein Kind will in keine LRS-Klasse gehenAus unserer Forschungsarbeit kennen wir die Tatsache, dass Kinder ungern in eine LRS-Klasse gehen wollen oder sich dem komplett verweigern. Das Berichten sowohl Eltern von betroffenen Kindern als auch erwachsene Betroffene, die eine LRS-Klasse besucht haben. Eltern und Pädagogen sollten Verständnis dafür haben, wenn die Kinder im Lernumfeld ihrer Klasse bleiben möchten.

  1. Fachlicher Hintergrund und unterschiedliche Bewertung der LRS-Klassen

LRS-Klassen sind in der Fachwelt und in der Elternschaft ein umstrittenes Thema. Es gibt dabei unterschiedliche Einschätzungen und biografische Verläufe, die wir bei Kindern oder erwachsenen Betroffenen beobachten. Deshalb kommt es immer wieder zu familiären Streitigkeiten, ob ein Kind auf eine LRS-Klasse gehen soll oder nicht. Die Kinder werden auch in unterschiedlichem Maß in diesen Entscheidungsprozess einbezogen. Zum Teil werden Kinder gezwungen in diese Sonderschule zu gehen, oder sie können sich dafür oder dagegen entscheiden. Der Umgang in den Familien mit der Thematik LRS-Klasse ist unseren Beobachtungen zufolge recht unterschiedlich.

Ein Teil der Eltern verteidigt diese Beschulungsform als ideal für eine Förderung und andere wiederum lehnen sie wegen einer möglichen Ausgrenzung und Stigmatisierung ab. Dies liegt häufig am unzureichenden Wissen der Eltern, die oft wenig über die unterschiedlichen Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten aufgeklärt sind. Leider betrifft das auch viele Pädagogen, die als LRS-Lehrer bezeichnet werden. Hier gibt es deutliche Defizite, um die Eltern mit ihren betroffenen Kindern objektiv aufzuklären.

Oft fehlt es an objektiver Aufklärung, um die Lernentwicklung abzuschätzen

Ein Fehler ist, dass das Bildungswesen den Eltern die LRS-Klassen als Allheilmittel gegen sämtliche Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten vermitteln will. LRS-Klassen können im Einzelfall eine Unterstützung sein. Das bedeutet aber nicht, dass der Besuch dieser Sonderklasse in jedem Fall zu einer vollständigen Kompensation der Schwäche führen muss. Genauer gesagt, es gibt unterschiedliche Ursachen für die Schwächen und diese können in Klassen mit ca. 14-16 Schülern nur in sehr geringem Maße berücksichtigt werden. Das müssen Eltern und Lehrer wissen und verstehen. Eine LRS-Förderung darf nicht kollektivistisch verstanden werden, sondern sie muss vom einzelnen Schüler und seiner individuellen Entwicklung hergedacht werden. Jeder Schüler hat unterschiedliche Entwicklungsvoraussetzungen, daher ist es sehr wichtig, die Schwäche vom Einzelfall her zu verstehen. LRS-Klassen können sich nicht an den individuellen Lernbedürfnissen orientieren. Deshalb profitieren nicht alle LRS-Betroffenen gleichermaßen davon.

Das war erst einmal der fachliche Hintergrund. Dieser wird von vielen Eltern und auch von den Schulen oft nicht richtig verstanden. Der Wissensstand zum Thema LRS und Legasthenie ist bei den Schulen und den Eltern sehr unterschiedlich.

  1. Wie geht man mit Kindern um, die eine LRS-Klasse ablehnen?

Eltern und Lehrer sollten bei einer ablehnenden Haltung einer LRS-Klasse gegenüber mit Verständnis reagieren. Betroffene Schüler reagieren unterschiedlich auf eine LRS-Sonderschule, weil sie psycho-emotional unterschiedlich beschaffen sind. Sensible Kinder können mit Ablehnung und Wut reagieren, wenn sie bemerken, dass sie aus ihrem gewohnten Lernumfeld herausgenommen werden sollen. Dann kann es vorkommen, dass sie auf eine Separation in eine LRS-Klasse negativ reagieren. In manchen Fällen werden sie deshalb gehänselt oder gar gemobbt. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es wegen dieser Separationserfahrung Bedenken, dass sich die Beschulung in einer LRS-Klasse nicht immer positiv auf die kindliche Entwicklung auswirken kann. Kinder sollten eine Inklusion in ihrer Heimatschule erfahren. Hier sollte besonders auf die Entwicklung einer psychisch stabilen Persönlichkeit geachtet werden. Reagieren Kinder sehr emotional auf diesen Vorschlag (LRS-Klasse), sollten sich die Eltern Rat bei Fachleuten suchen, die objektiv beurteilen können, ob eine LRS-Klasse für die Entwicklung des Kindes hilfreich ist oder andere Wege bei der Bewältigung ihrer Schwäche passender erscheinen.

Was könnten die sozialen Ursachen für Lese-Rechtschreib-Schwächen sein?

Soziale Ursachen bei Lese-Rechtschreibschwächen

Die Ursachen für Probleme mit dem Schriftspracherwerb bei Kindern sind vielfältiger Natur. In diesem Aufsatz geht es um unsere Erfahrungen mit den sozialen Ursachen. Hier machen wir uns um die frühen Indikatoren sozial-familiärer Ursachen Gedanken, die beim Erwerb von LRS in der Kindheit bei Betroffenen eine Rolle spielen können.

Nicht wenige Fachleute vermuten soziale Ursachen bei LRS

Bis heute gibt es in der Fachwelt keine einheitliche Meinung über die Ursachen für Lese-Rechtschreib-Schwächen. Mögliche Ursachen können in der Genetik, der frühkindlichen Entwicklung und neuronalen Besonderheiten der Betroffenen liegen. Viele Fachleute vermuten aber auch soziale Ursachen (Umweltindikatoren), die bei einer LRS eine Rolle spielen können.

Familie als wichtige prägende Institution für die Grundlagen der Schriftsprache

Die Schwierigkeiten sind dabei nicht direkt beim Betroffenen zu suchen, sondern in der sozialen Umwelt der Betroffenen. Eine wichtige prägende Institution ist die Familie, in der man die Grundlagen der Sprache und Schriftsprache legt und die vorschulische Entwicklung fördert. Sprechen Eltern wenig mit ihren Kindern, kann sich dies langfristig negativ auf die schriftsprachliche Entwicklung auswirken. Häufig werden diese Kinder dann ein Fall für Logopäden oder Ergotherapeuten. Gute Aussprache und intensive Kommunikation ist für die schriftsprachliche Entwicklung der Kinder wichtig. Dazu gehört eine vielseitige sprachliche, musische und kulturelle Bildung der Kinder. Sie kann einer LRS vorbeugen bzw. sie abmildern.

Nicht wenige Kinder können schon mit 4 Jahren ihren Namen schreiben. Ob das gelingt, hängt maßgeblich von der familiären Förderung ab. Die Eltern haben an dieser Stelle einen entscheidenden Part, indem sie ihren Kindern frühe Anreize dafür geben. Dazu kommt die vorschulische Förderung im Kindergarten, wo die Kinder erste wichtige Lernerfahrungen sammeln. Da die Qualität der Frühförderung nicht einheitlich ist, werden die Kinder in unterschiedlicher Art gefördert.

Fein- und Grobmotorik ist wichtig für den späteren Schriftspracherwerb

Für die schriftsprachliche Entwicklung ist eine gut ausgebildete Fein- und Grobmotorik wichtig, um in der Schulzeit eine flüssige Handschrift zu erlernen. Haben Kinder damit Schwierigkeiten, werden sie sich mit dem Schreibenlernen schwerer tun. Heutzutage hat man den Eindruck, dass diese Fertigkeiten zunehmend vernachlässigt werden. Dabei spielt die Mediennutzung (Handys, Tablets) eine entscheidende Rolle. Dies hat maßgebliche Auswirkungen auf den allgemeinen Schriftspracherwerb in der späteren Schulzeit.

Vorbildliche Mediennutzung der Eltern fördert die Konzentrationsfähigkeit

Eine gute Konzentrationsfähigkeit ist für den Schriftspracherwerb der Kinder wichtig, diese sollte schon im Kindergartenalter durch freies Spielen in der Natur und Rollenspiele mit Freunden sowie sportliche Aktivitäten gefördert werden. Eine frühe übermäßige Mediennutzung sollte bei kleinen Kindern vor dem Kindergartenalter vermieden werden. Denn die Kinder haben Schwierigkeiten, diese vielen Reize zu verarbeiten. Darum ist nur eine kurze und wohldosierte Nutzung ratsam. Wichtig ist hierbei, wie die Eltern die Nutzung der Medien vorleben. Vermutlich gibt es einen Zusammenhang, dass Kinder sich heutzutage nicht gut konzentrieren können, wenn die Eltern ihren eigenen Medienkonsum nicht im Griff haben. Aus der Praxis wissen wir, dass bei diesen Kindern recht häufig das gesamte soziale Umfeld der Familie belastet ist.

Psychische Belastungen der Eltern können Kinder zusätzlich beeinträchtigen

Familiäre Belastungen und die soziale Herkunft wirken sich auch auf die schulische Entwicklung aus. Kinder von seelisch erkrankten Eltern haben ein erhöhtes Risiko von 70 Prozent, dass sie ebenfalls psychische Probleme entwickeln werden. Das ist ein zusätzlicher Faktor, aus dem Probleme beim Schriftspracherwerb entstehen können. Sie haben ein wesentlich erhöhtes Risiko einer möglichen seelischen Behinderung, weil einzelne Elternteile mit der Erziehung und der finanziellen Lage überfordert sein können.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Auch wenn sich die Fachwelt über die möglichen Ursachen der LRS nicht einig ist, meinen viele Fachleute, dass soziale Umfeldindikatoren eine LRS begünstigen können. Speziell ein ungünstiges familiäres Umfeld und der soziale Status spielen bei der sprachlichen und schriftsprachlichen Entwicklung eine maßgebliche Rolle. Es ist nicht zu vernachlässigen, dass Kinder aus bildungsfernen Familien ein erhöhtes Risiko aufweisen können, Probleme beim Schriftspracherwerb zu bekommen. Die Förderung einer guten verständlichen Aussprache, der Zugang zu musischen und kulturellen Angeboten, die Ausbildung der Fein- und Grobmotorik sowie ein maßvoller Medienkonsum sind gute präventive Maßnahmen, um dem vorzubeugen.

Uns sind einige Fälle bekannt, in denen das soziale Milieu und der Erwerb der LRS in einem engen Zusammenhang stehen. Die soziale Herkunft der Betroffenen spielt bei der Bewältigung der Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten eine wichtige Rolle. Eltern, die in die Förderung der Kinder investieren können, haben bessere Chancen auf schulischen Erfolg als die, die sich keine private Förderung leisten können und der sozial schwächeren Schicht angehören.

Diese wichtigen Einflüsse können Indikatoren bei der Entwicklung der LRS sein. Wenig davon ist bisher erforscht. Beobachtungen aus der Praxis geben aber Hinweise darauf, dass diese Faktoren eine Rolle spielen müssen. Deshalb sollten diese in der Forschung mehr berücksichtigt werden.

 

Indizien und Beobachtungen von Störungen im Sozialverhalten bei Legasthenikern und Dyskalkulikern

Dieser Artikel befasst sich mit den Beobachtungen der psychosozialen Probleme bei Legasthenikern und Dyskalkulikern im Jungend- und jüngeren Erwachsenenalter (bis 35 Jahren) aus pädagogisch und psychologischer Sicht.

Zuerst muss klargestellt werden, dass eine Legasthenie und Dyskalkulie im primären Stadium im Kindesalter, in der Regel keine Probleme in der psychosozialen Entwicklung bedeuten. Wird aber eine dieser familiär bedingten Lernschwächen nicht frühzeitig in der Grundschule bis zum Teeniealter mit adäquater Förderung kompensiert, kommt es unweigerlich zu Störungen im Sozialverhalten, die sich langfristig zu „Störungen des Sozialverhaltens“ ausprägen können. Diese können sich bis in das Erwachsenenalter schwerwiegend verfestigen und in der Regel, nach unseren Erfahrungen, mit einer hochspezialisierten pädagogischen Verhaltensmodifikation (ähnlich der Verhaltenstherapie), wieder kompensiert werden – was aber einen langwierigen Lern- und Änderungsprozess im Sozialverhalten des Betroffenen bedeutet.

Sicherlich spielen hier einige Umweltfaktoren für die Entwicklung eine Rolle, die mit den sozialökonomischen Verhältnissen (familiäres Umfeld, sozialer Status, Lernumfeld in der Schule, Methodik etc.), als wesentliche Rolle für die Entwicklungen psychosozialer Probleme sind. Erlebte der Jugendliche oder junge Erwachsene wenig Annahme, Wertschätzung und Liebe in seiner Familie mit seiner Legasthenie oder Dyskalkulie oder wurde nicht richtig in den Klassenverband in der Schule integriert ( wurde zum Außenseiter oder Klassenkasper..), können diese Probleme damit gefördert werden. Daher besteht die Gefahr, dass sich diese Schwierigkeiten mit schweren Folgen verfestigen können. Nicht selten werden Legasthenien und Dyskalkulien im Grundschulalter richtig diagnostiziert, daher reagieren auch häufig die Eltern oder das Lernumfeld mit Unverständnis, Leistungsdruck oder gar mit Ablehnung. Genau hier entwickeln sich im primären Stadium einer Legasthenie oder Dyskalkulie, häufig diese Störungen im Sozialverhalten, die häufig auch von der medizinisch-psychologischen Richtung als „psychische Störung“ eingeordnet werden. Dies ist ethisch eher bedenklich Ansatz, wird aber in den letzten 40. Jahren von pharmanahnen (BVL e. V.) vertreten, der dieses Thema sehr einseitig pathologisiert und als Stör- und Krankheitsbild etabliert hat. Nach unseren langjährigen Erfahrungen ist diese Herangehensweise strikt abzulehnen, denn es ist fatal, wenn man im eigentlichen Sinne, gesunde und normalentwickelte Kinder von vornhinein als psychisch gestört einordnet.

Ein wesentlich pragmatischer Ansatz wäre: „Wenn man diese Lernschwächen als Teil unserer Lernvielfalt, einfach respektieren und tolerieren würde, statt sie zu stigmatisieren.“ Denn diese Menschen haben in vielen anderen Bereichen spezielle Begabungen, die gefördert werden sollten. Der Fokus einer Störung bedeutet keine Integration, sondern Diskriminierung und soziale Isolation, bis in das reifere Erwachsenenalter. Wir kennen diese Entwicklungen persönlich und beobachten diese in unserer praktischen Arbeit bei unseren Schützlingen. So wird diese Thematik durch die Legasthenieverbande eher noch verschlimmern, daher ist Integration in die Mitte unserer Gesellschaft, in der gegenwertigen Situation fast unmöglich. Jedes Kind und Betroffene hat erstklassige pädagogische Förderung verdient, statt LRS-Klassen und Legasthietherapien, die am Ende wirklich zu schweren seelischen Problemen führen können. Denn, wenn man den Betroffenen eine Störung einredet, werden sie niemals eine normale Entwicklung erleben, dass mit komplexen Folgen für die gesamte persönliche Entwicklung und Integration.

Aus Beobachtungen, Forschung, sowie eigener Erfahrung kennen wir die Auswirkungen dieser sozialen Verhaltensprobleme fast aus dem Effeff (auch ganz persönlich!). Man hat es am eigenen Leibe erfahren, wie es sich anfühlt, legasthen und dyskalkul zu sein. Die Verhaltensänderung der antrainierten sozialen Verhaltensprobleme dauerte eine lange Zeit, war und ist kein einfacher Prozess. Durch die nichterkannte Lernschwäche entwickelten sich Versagensängste, was ein instabiles Selbstbild mit schweren Folgen für die gesamte psychosoziale Entwicklung darstellte. Detaillierte Erfahrungen werden demnächst geschildert, denn sie werden häufig bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis Mitte dreißig beobachtet.

Uns belegt die wissenschaftliche Literatur, das, wenn man diese Schwächen nicht  im Lesen, Schreiben oder Rechnen nicht erkennt, wird es häufig auch zu Versagensängsten kommen, die zu Problemen in der psychosozialen Entwicklung führen werden. Sie sind also nicht direkt ein Problem von Legasthenikern oder Dyskalkulikern, sondern sind die Folge, einer ungenauen Beobachtung und Einschätzung der Probleme im frühen Grundschulalter, sowie auch häufig unzureichender Hilfsansätze – um die Schwäche zu kompensieren.

Nach Aussage von Klassen[1] hatten bei einer Untersuchung schon im Jahre 1971 von 500 Legasthenikern im Alter zwischen 6,0 und 18,11 Jahren 65 % Angstsymptome. Diese wurden von Erziehern oder Eltern bei den Untersuchungen geschildert. Besonders während der psychologischen Untersuchungssituation und der Lesetherapie im Klassenzimmer. Diese Beobachtungen kann man als Indiz für eine negative Entwicklung im Sozialverhalten deuten, die man mit einer richtigen Diagnostik, wertschätzenden und liebenden Haltung von seitens der Eltern und dem Lehrer-Schüler-Verhältnis präventiv in Griff bekommen könnte. Leider hier ist häufig aus Unwissenheit der wirkliche Knackpunkt, der an verschiedenen Faktoren hängt. Die wir an anderer Stelle erläutern werden.

Frühe Angsterlebnisse besonders in der Grundschulzeit werden sich unweigerlich auf die ganze Entwicklung der psychosozialen Entwicklung bis hin zum Lernverhalten, als auch der Identitätsbildung und psychischen Widerstandfähig (Resilienz) Auswirkungen haben, sofern nicht professionell pädagogisch-didaktisch und mithilfe der Gesundheitsberufe interveniert wurde. Daher stellt eine Legasthenie und Dyskalkulie keine Krankheit, Störung oder gar Behinderung dar, sondern sie kann sich als schwerwiegende Sekundärproblematik mit einer Vielzahl von Störungen im Sozialverhalten und der Persönlichkeit aus psychosoziologischer Sicht entwickeln, die weitgehend mit dem richtigen Umgang mit  diesen Lernschwächen vermieden werden könnten.

Aber hier zeigen sich, die meisten Probleme, weil der verbreitete Ansatz der Legasthenieverbände auf Störbilder abzielt, statt auf hochqualifizierter Intervention und spezialisierter Verhaltensoptimierung. Bis heute hat man in der Forschung diese Zusammenhänge in Praxis noch kaum untersucht. Dennoch liegen, nach Beobachtungen unserer langjährigen Arbeit die Zusammenhänge sehr nahe, dass eben das Verhalten unserer Umwelt sich wesentlich auf die sekundären psychosozialen Folgeerscheinungen, auf die seelische Entwicklung auswirken können. Daher ist die medizinisch-psychologische Rolle, in der wissenschaftlichen Erkenntnis nur ein Puzzle der sehr komplexen Erkenntnisse dieser Schwächen.

Ein deutlich wichtiger Aspekt ist die soziologische Beobachtung (Makro- und Mikrosystem) und Fachdidaktik im Anfangsunterricht,  die sehr wahrscheinlich als Umweltfaktoren auf die Entwicklung sekundärer Probleme sich maßgeblich auswirken. Nach unserer Sicht ist die Dominanz einerseits der sehr einseitigen störbildorientieren Legasthenieverbände und der Unwille zur Differenzierung im Bildungswesen (LRS und Legasthenie), mit als Ursachenherd unserer Probleme zu identifizieren. Zum einen mag es Unwille, oder gar Berufsblindheit vieler Fachdisziplinen eine der Ursachen sein. Dass sich schon seit vielen Jahren sich wenig für die Betroffenen bewegt. Pragmatismus statt Stigmatisierung, ist in der ganzen Sachdiskussion, wenig zu finden. Die meisten Fachdisziplinen auf diesen Gebiet, tun ihre wissenschaftliche Rolle überbewerten. Daher hilft nur ein fachübergreifender Ansatz einer deutlich moderneren Legasthenie- und Dyskalkulieforschung maßgeblich in der Bildungsforschung.

Unsere Erkenntnisse und Beobachtungen, besonders im Sozialverhalten und deren Störbildern bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, werden wir, demnächst an dieser Stelle aus der eigenen Biografie und ähnlicher Fälle beschreiben. Denn es sind uns Zusammenhänge aufgefallen, die sich als wiederkehrende Muster im Sozialverhalten bei Legasthenikern und Dyskalkulikern, gleichermaßen zeigen.


[1]
                (vgl S. 128f) Klassen, E. (1971). Das Syndrom der Legasthenie – Unter besonderer physiologischer, psychopathologischer, testpsychologischer und sozialer Korrelate.