Kommentar zum MDR-Bericht über LRS-Symposium in Erfurt: Wie kann Kindern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche geholfen werden?
Wir beobachten seit einigen Jahren aktiv die mediale Berichterstattung zum Thema Legasthenie. Den gestrigen Bericht des MDR-Fernsehens haben wir natürlich mit großem Interesse verfolgt. Medien berichten nach unseren Beobachtungen nicht differenziert und aufklärend genug über das Thema Legasthenie und LRS. Es finden sich kaum Erklärungen bzgl. der Vielfalt von Schwierigkeitn, die beim Lesen und Schreiben auftreten.
Dass Schüler an unseren, meist öffentlichen, Schulen viel Hohn und Spott erleben und ertragen müssen, ist seit mindestens vier Jahrzehnten bekannt. Dass man die Legasthenie-Störung mit Sprachgebärden therapieren will, ist nach unserer Auffassung weniger erfolgreich. Legastheniker – und auch jedes andere Kind – lernt nachweislich mit allen Sinnen. Es ist notwendig, zuerst eine differenzierte Diagnose durchzuführen, um herauszufinden, ob es sich um eine erworbene LRS oder um eine so genannte genetisch bedingte Legasthenie handelt. Erst dann ist es überhaupt möglich, einen Schüler individuell, persönlich und umfassend mit einem besonderen Konzept aus der interdisziplinären Legasthenieforschung zu fördern bzw. zu begleiten.
Dass Schulen heute Legasthenikern zu große Freiräume lassen, können wir so nicht teilen. Es zeichnet sich nach unseren Erfahrungen ab, dass auch mit einem gut gemeinten, „systematischen“ Deutschunterricht, der gerne als Deutschförderunterricht in der Statistik geführt wird, kaum einem Legastheniker nachhaltig geholfen werden kann. Die Didaktik, die Methodik, wird erneuert, um den Leselernprozess, das Lesen selbst und das Schreiben in den Griff zu bekommen, doch der Schüler selbst steht außerhalb des Zentrums des Geschehens. Es gilt, den Schüler in das Zentrum wieder zu stellen – und es zuzulassen, dass eine differenzierte Diagnostik an erster Stelle steht, bevor Lehrer und/oder auch Legastheniespezialisten mit dem Kind arbeiten.
Klarheit, Diffenzierung und das Bewusstsein, dass das Kind im Zentrum der Pädagoik steht, ist der erste Schritt in Richtung nachhaltiger Behandlung jeglicher Erscheinugsformen von LRS, Lagasthenie und auch der sich mittlerweile stark verbreitenden Dyskalkulie.
Der allgemeine Ansatz, das zeigte auch der kurze Ausschnitt des LRS-Symposiums, orientiert sich lediglich an der veralteten Diskrepanzdefinition der WHO ICD-10, was nur eine sehr pauschale Zusammenfassung sämtlicher Schwierigkeiten darstellt, die mit dem Lesen und Schreiben einhergehen können. Und genau darin liegt das eigentliche Dilemma in der heutigen Legasthenieforschung, das auf der Forschungsarbeit von Dr. Prof. Günther Esser basiert. Seine Argumente sind, unserer Meinungnach, rein subjektiver Natur. Es reichen keinenesfalls vier Sonderstunden als Gruppenunterricht in der Schule, um das Problem in den Griff zu bekommen, das zeigen uns auch die Ergebnisse der LRS-Klassen, in denen keine differenzierte Förderung stattfindet. Nach unseren Beobachtungen und praktischen Erfahrungen währdend der letzten Monate haben viele unserer Schüler weder eine umfassende Förderung noch eine Diagnose erfahren.
Wir bezweifeln, dass solche LRS-Symposien unsere Probleme in dieser Gesellschaft den Betoffenen, sei ohne oder mit erworbener Lese-Recht-Schreib-Schwäche (LRS) oder genetisch bedingter Legasthenie, auf diese Art und Weise Hilfe erfahren werden.
Die Diskussionen sind schon seit vielen Jahrzehnten die gleichen, und es wird verpasst, zielorientiert den Betroffenen eine Schullaufbahn zu ermöglichen, die ihren Fähigkeiten und Potenzialen entspricht. Diese Herangehensweise wird sich bald aufgrund des demografischen Wandels und Fachkräftemangels in erschreckender Weise bemerkbar machen, da man es verpasst hat, sich umfassend und interdisziplinär mit der Thematik auseinanderzusetzen. Der amerikanische Soziologe Andrew Abbott hat untersucht, wie die Wissensgesellschaft den Erwerb von Wissen vernachlässigt – und dadurch die Idiotie einer Disziplin befördert. Genau diese Probleme haben wir auch in der internationalen und deutschen Legasthenieforschung, worauf sich auch unsere Selbsthilfeverbände und unsere Politik sich stützen.
So werden wir jedenfalls nicht zum Ziel kommen!