Gestern haben wir den Radiobericht beim Dradio mit Spannung angehört. Und wir werden jetzt diesen Bericht kommentieren. Er ist es jedenfalls Wert, sich kritisch und differenziert damit auseinander zu setzen.

Erstens Fragen wir uns: Warum immer die gleichen Fachleute zum Thema Legasthenie und Dyskalkulie von den Medien befragt werden. Warum ist es immer, Prof. Schulte-Körne vom wissenschaftlichen Beirat des Bundesverbandes Legasthenie und Dyskalkulie e. V.? Es gibt sicherlich viele andere Wissenschaftler, die sich mit der Thematik befassen und bestens Bescheid wissen. Außerdem fehlte in dem Bericht ein Betroffener, der geschildert hätte, wie er diese Probleme am eigenen Leib erlebt. Mit dieser Art der Berichterstattung kann jedenfalls keine wirklich objektive Sichtweise möglich sein. Unserer Meinung nach ist das alles andere als aufklärender Journalismus!

Zweitens sind die angebenden Zahlen von 4-8 Prozent nicht gesichert, weil es nur grobe Schätzungen sind. Es gibt keine Studien dazu, weder national noch international! Im Interview mit Schulte-Körne fiel auf, dass er zwar die Symptome einer „Lese-Rechtschreibstörung“ gut beschreibt, jedoch ist seine Darstellung, ähnlich wie wir das vom Selbsthilfeverband her kennen, einseitig medizinisch-psychologisch. Es gibt weitere wissenschaftliche Richtungen, die man in die Fragestellung hätte einbeziehen müssen, unabhängig vom Selbsthilfeverband. Möglicherweise vertritt dieser Selbsthilfeverband insbesondere die Interessen der Pharmaindustrie. Die umschriebene Symptomatik einer Legasthenie nach ICD-10 Diskrepanzklassifizierung der WHO ist der heiß diskutierten und höchst umstrittenen Erscheinungsform AD(H)S sehr ähnlich – und lediglich grob zusammengefasst dargestellt worden. Der Öffentlichkeit muss klar sein, je breiter Klassifizierungen sind, desto mehr Menschen können als therapierbar eingestuft werden. Darum vertritt dieser Selbsthilfeverband anscheinend nicht die Interessen der Betroffenen, sondern wahrscheinlich die Interessen der Pharmaindustrie (wie wir schon am 30. Mai 2009 berichteten). Sehr ähnlich, wie wir sie bei der ADHS erleben. Erkennen Sie die ähnlichen Parallelen? Es sind mit Sicherheit die selben!

Als nächsten Punkt: Es gibt nach wie vor noch keine wissenschaftlichen Beweise, dass eine Legasthenie oder Dyskalkulie therapierbar ist. Allerdings weisen einige führende Wissenschaftler darauf hin, dass man die sehr komplexen Schwierigkeiten umfassend mit einem speziellen Training kompensieren kann. Daher ist, unserer Meinung nach, weder die Herangehensweise und das Verständnis des Selbsthilfeverbandes wissenschaftlich fundiert, noch für uns „Betroffene“ in irgendeiner Form dienlich. Denn anstatt integrativ zu arbeiten, wie dies dieser Verband seit Jahrzehnten propagiert, produzieren wir, genau genommen, keine Integration, sondern im großen Stil und Ausmaß „Scheinkranke für die Pharmaindustrie“. Wenn eine Legasthenie / Dyskalkulie familiär bedingt ist, ist es eine natürliche Anlage des Menschen und braucht besondere pädagogische Förderung, um in der Schule klarzukommen und keine Therapie. Erst neulich warnten andere Wissenschaftler dass wir mehrere Millionen „Scheinpatienten“ produzierten und gingen auch kurz auf das Thema Legasthenie ein. Wir beobachten es auch in unserer praktischen Arbeit, dass es tatsächlich so ist. Wir warnen die Eltern, weil unser Fokus die differenzierte Diagnostik und Förderung sein muss, um den Kindern einen Therapiemarathon zu ersparen. Sicherlich sollen die Betroffenen Hilfe von den Gesundheitsberufen erhalten, wenn sie diese benötigen. Das ist auch unsere Sicht und Herangehensweise.

So wie es der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e. V. darstellt, funktioniert es allerdings in der Praxis nicht. Wir beobachten hier in Dresden und allgemein in Sachsen, dass es von öffentlicher Seite keine differenzierte Hilfe und kaum finanzielle Unterstützung gibt. Dass unsere Kinder erst einmal seelisch behindert sein müssen, um „therapiert“ werden zu können, ist eine Tatsache, die uns sehr nachdenklich stimmt. Nach unserer Sicht ist es eine äußerst unmenschliche Situation, über diese bürokratischen Umwege der Jugendämter eine entsprechende Förderung zu erhalten. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, was sind uns denn Kinder unsere uns Wert? Wollen wir sie alle durch Therapie perfektionieren, und die Kinderseelen erst Recht krankmachen? Oder wollen wir Ihnen erstklassige Bildung ermöglichen? Sicherlich muss sich diese Frage jeder persönlich stellen. Doch sei an dieser Stelle gesagt, dass es sich um eine überlebenswichtige Frage für unser Gemeinwesen handelt, wie wir künftig unsere Kinder umfassend fördern wollen!

Dann haben wir noch einen weiteren Punkt, der uns in der Radiosendung des Dradio aufgefallen ist: das Marburger Rechtschreibtraining wird als Therapieform angepriesen. Das ist ja, sowas von einseitig! Sicherlich kann man dieses Rechtschreibtraining mit in die Förderung integrieren, doch es gibt viele andere Möglichkeiten, diese Kinder kreativ zu fördern.

Leider wurden zum Thema Dyskalkulie kaum Aussagen getroffen. Was aus wissenschaftlicher Sicht jedenfalls falsch ist, dass die Dyskalkulie eine ganz eigene „Störung“ sein soll. Nach unseren Beobachtungen ist die Wahrscheinlichkeit von einer Kombination Legasthenie/Dyskalkulie betroffen zu sein bei 40-70 Prozent, als eher wahrscheinlich. Verschiedene andere Wissenschaftler kennen auch verschiedene Kombinationen dieser Lernschwierigkeiten, wir beobachten diese auch in unserer Arbeit.

Fazit: Uns zeigt es wieder, dass unsere öffentlichen Medien nicht unabhängig über diese Themen berichten. Dass bringt uns jedenfalls in der ganzen Diskussion nicht weiter.

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